01 The Beatles – The Beatles
Über dieses Album habe ich schon so viele Ein-Satz-Analysen geschrieben, dass mir jetzt nichts wirklich Addierendes mehr dazu einfällt. Vielleicht nur das noch: Wer einmal tief in das zitat- und selbstzitatwütige Varieté des Weißen Albums eingestiegen ist, der dürfte gegen die Scheinwelt der Authentizität und des total echten Gefühls, das einem in der Rockmusik nicht selten vorgespielt wird, eigentlich für immer gefeit sein. Eigentlich.
02 The Velvet Underground – White Light/White Heat
Das beste Rockgitarrensolo aller Zeiten hat Lou Reed auf I Heard Her Call My Name gespielt, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte.
03 The Rolling Stones – Beggars Banquet
Richards Akustikanschlag und der übersteuerungsfähige Telefunken-Kassettenrekorder, Millers auf enge Räume bedachte Produktion, Jaggers Gesangsübersetzungen der immer mit einem Interpretationsdreh versehenen Rätselverse, Watts Entwicklung als Studiodrummer. Eng beieinander haben sie sich freigekämpft aus der kurzen, etwas orientierungslosen, aber faszinierend dunklen Psychedelikphase.
04 The Rolling Stones – Let It Bleed
Nach dem ironiegetränkten Bettlerbanquett auf harten Bänken wurden die Räume wieder weiter gestellt und die Sitzgelegenheiten gepolstert. Jagger entdeckt das Blut und seine Symbolkraft. Richards entdeckt Heroin. Gemeinsam schauen sie den glühenden roten Lichtern eines Zuges nach. Wie auf Beggars Banquet wird auch hier ironisch gebrochen und verrätselt. Produzent Miller ist ein Glücksgriff in vielerlei Hinsicht und steuert sogar noch das Schlagzeug zum Höhepunkt des Albums bei. Selbst das zarte Rosa des Inlays hat es mir so angetan, dass ich auch noch ein US-Original haben musste. Verdiente Nummer 4. Hätte auch die Nummer 3 werden können, aber so passt es mit dem obigen Kommentar zu Beggars Banquet besser zusammen.
05 Captain Beefheart And His Magic Band – Trout Mask Replica
Nichts weniger als die Verschmelzung so gut wie aller damaligen zeitgenössischen musikalischen Strömungen der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Schnitt ca. 3-5 Stömungen gleichzeitig. Das macht es etwas verwirrend. The Blimp wurde durch ein Fliegenohr hindurch aufgenommen, das man nur durch ein Fliegenauge sehen konnte. Kein Wunder, dass Produzent Zappa etwas überfordert war. And here’s another clue for you all: The blimp were the mothers of invention.
06 The Seeds – Raw & Alive In Concert At Merlin’s Music Box
Das beste Fake/Nonfake-Livealbum aller Zeiten: Raw & Alive. Mit der noch etwas besseren Version der Teenagepettinghymne Up In Her Room. Eigentlich sind alle Versionen hier den Ursprungsversionen überlegen, 900 Million People Daily All Making Love das beste Doors-Stück, dass die nie geschrieben haben.
07 Caetano Veloso – II
Tropicalismo! Komische Streicherkaskaden, fuzzy Os Mutantes, beatleske Experimentierlust, anpsychedelisierte akustische Traditionsballaden, Antimachismo, und ein Gigant unter den Songschreibergiganten des 20. Jahrhunderts.
08 Alan Shorter – Orgasm
Orgasm ist ein Jazzalbum, das mir aber vorkommt wie ein Rockalbum. Rhythmisch auf festem Fundament, großartige, sehr griffige Grundmotive, die von Shorters Flügelhorn mit eher kurzen Versatzstücken wahlweise bestätigt, erhitzt, erweitert, angegriffen oder abgekühlt werden. Die Musik strahlt zwar manchmal eine gewisse freie Coolness aus, wirkt aber gleichzeitig auch gefährlich, als würde sie sich nichts gefallen lassen, falls man es wagen sollte, sich mit ihr anzulegen. Alan Shorters Fähigkeiten am Flügelhorn werden auch mal kritisch beurteilt, las ich mal, was ich aber überhaupt nicht so höre – vielleicht auch das meinem Rockohr geschuldet, die Instrumentalfähigkeiten nicht an Virtuosität misst. Sein Gegenpart ist Gato Barbieri am Tenorsax, und der holt wirklich von der anderen Seite her aus, kommt vom Virtuosen und lässt sich hier durchweg großartig auf das Terrain ein. Spielt der immer so? Keine Ahnung, hab den eher so ins Fusionfach abgestellt, aber falls ja, bitte ich um Tips! Das Album besorgte ich mir für 55 Dollar plus Porto aus Japan. Zum Glück rutschte es durch den Zoll. Bereue nichts. Es gibt von Alan Shorter auch noch ein kompromissloses Jazz-Album von 1971 (Tes Esat), das seine Kräfte noch weiter auseinanderstieben lässt.
09 The Beach Boys – Friends
Ich mag Pet Sounds durchaus, halte es aber für ein typisches Meisterwerkmeisterwerk. Schön, dass es das gibt, aber es trägt etwas schwer an seinem Anspruch. Smiley Smile wurde dadurch gut, dass es am Anspruch des Großprojekts SMILE scheiterte und die übriggebliebenen zerissenen Teile wieder etwas Spielerisches bekamen. Dadurch war es lange Zeit mein Beach Boys-Favorit, aber momentan stört mich doch die Albernheit etwas zu sehr, um es in den Top 20 zu listen. Jetzt ist Friends mein Favorit, ein Album, das leicht sein musste, weil das Chaos auf den vielstündigen Smile-Bändern nicht mehr auszuhalten war. Hier startete dann auch ganz zart die Songverantwortung der übrigen Beach Boys, und Brian Wilson bekam die Gelegenheit, aus dem Nichtstun heraus eine Wunderhymne schreiben zu können – über das Nichtstun.
10 Albert Ayler – Spiritual Unity
Niemand hat so einen Ton wie Albert Ayler. Laserenergie wie aus einem alten Comic, in dem Gott die Superkräfte auf Tenorsaxophonisten verteilt hat. Ein Konzentrat aller Noten und aller Schreie zu einem einzigen Ton, der die Nerven abtastet.
11 Antonio Carlos Jobim – A Certain Mr. Jobim
Jobim lässt seine trickreichen, den Trickreichtum nie ausstellende Bossa-Stücke von Claus Ogerman mit edlen Streicherlacken beschicken. Dazu croont Jobim einge-englisch-te Texte, dass man ganz schwach vor Sehnsucht wird. Surfboard spielt mit seinen Keyboardkaskaden die Wellen aus, die sich mal aufbauen, mal auch nicht.
12 Antonio Carlos Jobim – Wave
Und hier dann nochmal Jobim und Ogerman. Kleine überlebensgroße Meisterwerke, die viel zu schnell vergehen. Ohne Gesang bekommt dieses Songgeschmeide nochmal die volle Eleganzladung. Das ist so dermaßen schön, ich könnte ausflippen, wäre das nicht im Bossa total verpönt. Hört ihr mal Pet Sounds.
13 Eric Dolphy – Out There
Out To Lunch! ist knapp an der Top 20 gescheitert, Ron Carters Where? (auf dem Dolphy mitspielt) auch. Ich wähle Out There, Dolphys zweites Album als Leader. Mir scheint hier alles brillant zu sein. Die Motive und die Umsetzung. Am Rand stehend und schon mal ins Freie schauend. Der Albumtitel Out There ist gut gewählt. Ron Carter ist hier auch wieder dabei (wie übrigens auch auf den beiden Jobim-Alben meiner Liste), spielt diesmal aber Cello und das ganz wunderbar.
14 Cecil Taylor – Conquisdador!
Die Verclusterisierung des Jazz. Das Coverbild ist eine gute Illustration für die Fähigkeit Taylors, seine Musik bis in kleinste Bestandteile durchzuzittern. Trotzdem gibt es auf Conquistador! auch größere Melodiestrecken und Ruhepole. Die Produktion ist toll, eben weil sie nicht optimal alles so aufstellt, wie von Blue Note gewohnt. War wohl keine Absicht, aber es ist bestimmt auch nicht einfach gewesen, dieser Musik produktionstechnisch zu folgen.
15 The Stooges – The Stooges
Die Produktion: Trocken, teilnahmslos und gemein. Als wäre ihr scheißegal, was da auf sie zukommt. Das steht dem Album gut, sorgt aber auch immer wieder für Kritik. Fun House ein Jahr später sollte dann räumlich aufwühlender produziert werden. Ich mag beide Ansätze. Jetzt, wo ich gerade We Will Fall höre, fällt mir ein Stück von This Heat ein, das ein ähnliches Fieber heraufbeschwört und ebenfalls ein Fallen thematisiert: The Fall Of Saigon. Möglicherweise kein Zufall.
16 John Coltrane – Africa/Brass
Ja, ich bin wohl noch nicht bereit für die spirituelle Reise von A Love Supreme. Brauch stattdessen noch magischen Staub und die Geheimnisse, die er aufwirbelt, wenn man mit einer Gemme über ihn streicht. Eine Draussen-Platte nannte ich Africa/Brass vor ein paar Tagen. Ich ergänze: Eine Draussen-in-der-klebrigen-Nacht-Platte. Mit Zeremonien, die ich nicht verstehe, mit Zuständen zwischen realem Erleben und Einbildung. Heidnische Musik, die keine Kathedralen baut.
17 The Thirteenth Floor Elevators – The Psychedelic Sounds Of The Thirteenth Floor Elevators
Ericksons Heulen und das „Electric Jug“ von Tommy Hall (die Hörer wirken gelangweilt, schmeißen wir einfach noch mehr Acid in den Track, hörst du, Tommy!), dazu der Punk der Restmannschaft: Ergibt das Vortex der frühen Psychedelik. Unerreicht in seiner Art, auch vom zweiten Album nicht, dessen erstaunlich disziplinierter Protohardrock aber wieder ein guter Grund für eine Top 20-Nennung wäre.
18 Isaac Hayes – Hot Buttered Soul
By The Time I Get To Phoenix in der unsterblichen 18-Minuten-Version: Minutenlange Analyse über den Komponisten und die Vorgeschichte. Die Orgel spielt dazu EINE EINZIGE VERDAMMTE NOTE! Bis es dann losgeht mit dem eigentlichen Song – und die Orgel DIE ZWEITE NOTE SPIELT, was eine Welt zusammenstürzen lässt: By the time I get to Phoenix / She’ll be rising / She’ll find the note I left hangin‘ on her door. Bei keinem Track habe ich so sehr geheult wie bei diesem hier. Immer wieder. Ein Überwerk, falls es je eins gegeben hat.
19 The Beau Brummels – Volume 2
Superkonzentrierte Gebirgsbachproduktion von Sly Stone, und das schon 1965. Bay Area-Beat, ausdrucksstarker Sänger und mit Ron Elliott einen der talentiertesten Songbauer der 60er Jahre. Auch Triangle und Bradley’s Barn sind gute Platten, aber ich bevorzuge in letzter Konsequenz Volume 2. Die erste (Introducing …) der Beau Brummels ist nicht so gut, weil noch etwas zu hibbelig und albern.
20 The Doors – Strange Days
Dass ich viele Jahrzehnte nach meiner Doors-Phase wieder zu ihnen zurückfinden konnte, habe ich eigentlich Ray Manzarek und John Densmore zu verdanken. Manzareks launige Ansagen bei den Doors-Konzerten mit Gastsängern in den 90ern haben mich bestens unterhalten und mir gezeigt, was für ein angenehmer humorvoller Mensch er doch gewesen sein muss. Von Densmore beeindruckt mich die superfood-gestählte Konstitution im höheren Alter, die er immer noch hat, und auch seine Weigerung, das Doors-Erbe an die Werbeindustie zu verhökern. Außerdem hat Densmore wirklich etwas von Elvin Jones in die Rockmusik eingebracht. Ich höre es deutlich in den ruhigen Parts der längeren Stücke von ihnen. Exzeptioneller Drummer. Die zweite Doors ist variabler als die erste, Manzareks Orgel wird auch mal gegen anderes getauscht. Alles auf hohem Niveau, nicht nur die typischen Ausstellungsstücke für den Lyriker in der Band, sondern auch die kleinen schönen Schmeichelsteine wie I Can’t See Your Face In My Mind oder You’re Lost Little Girl.
21 The Velvet Underground – The Velvet Underground
Die dritte Velvet, die erste ohne Cale. Und statt sich einen Ersatz für ihn zu suchen, haben sie einfach den Krach und den Einfluss moderner europäischer Kompositionen ersetzt durch – nichts! Ruhe, Entspanntheit, Fallenlassen in den verbotenen Rausch. Oder in die Rock’nRoll-Hypnose von What Goes On.