Was ich lange, lange Zeit an Dylan so verabscheute – seine Uneindeutigkeit, seine gleichzeitig in allen Zeiten verpflanzte Musik, seine Nachlässigkeit und Sprunghaftigkeit dem eigenen Material gegenüber – kumulierte in meiner völligen Intoleranz gegenüber seiner Stimme. Ich spürte schon immer irgendwie, dass sie der Schlüssel zu seiner Gesamtkunst darstellt, der Kern dessen, warum sie nicht greifbar ist. Ich spürte auch, dass ich Dylan eigentlich gut finden müsste. Dass ich es nicht tat, machte mich seinem Werk gegenüber zynisch und herablassend. Dylan war für mich ein erledigter Fall, mein Fall sowieso nie, und allenfalls erträglich, wenn jemand einen Dylan-Song coverte, was immer der Dylan-Version vorzuziehen war. Das machte mich noch wütender gegenüber seinem Werk. Wieso schaffte der Typ es nicht wenigstens, seine eigenen Songs am überzeugendsten zu spielen? Wieso konnten selbst das andere besser als er?
Dann hörte ich zufällig eine aktuelle Platte von ihm – „Modern Times“ – und fand plötzlich seine Stimme sehr angenehm sanft und Dylan-fremd. Aber auch „Modern Times“ war nicht einfach für mich. Mich störte, dass Dylan alles zusammengeklaut hatte. Ich las, er hätte ganze Passagen aus fremden Songs und Texten zusammengetragen und zum Teil wortwörtlich übernommen. Für die Musik galt das gleiche: Keine Sekunde war neu, die Songs waren aus bekannten Versatzstücken zusammengebaut, trotzdem autorisierte er sie als Dylan-Kompositionen. Aber das geht doch nicht, empörte ich mich, wo bleibt denn da die Eigenständigkeit? Klaut einfach und gibt es als das seine aus! Ich hatte daran zu knacken (und sah erst später, dass die Kunst darin liegt, das vorliegende Material sich überlagern zu lassen, woraus sich eine andere, ganz eigene Textur ergibt; im Prinzip baut sowieso alle Kunst auf vorher von anderen geschaffener Kunst auf – Gegenbeweise nehme ich gerne entgegen).
Die Songs auf „Modern Times“ jedenfalls waren mit einer großen Lockerheit gespielt. Seine Band schien musikalische Geschichten und Querverweise der amerikanischer Pop-Kultur schlafwandlerisch aus dem Ärmel zu ziehen. Ich war fasziniert – und froh, endlich einen Zugang zu Dylans Stimme gefunden zu haben. „Modern Times“ wurde die erste Dylan-Platte, die ich mir kaufte.
Von hier aus können wir schneller skippen: Von diesem winzigen ersten Zugang zu Dylans Stimme aus rollte ich das Feld von hinten auf: Ich las Heinrich Deterings Dylan-Büchlein von 2007 (Reclam), besorgte mir „Dylan Live 66 (The Bootleg Series Vol. 4)“ und war total begeistert von der rauen Musik und der arrogant-irrisierenden Aura des Gipfelstürmers und Enigmaten, den Dylan 1965/66 darstellte. Ich lernte seine Art des Gesangs und der Intonation zu schätzen. Ich kenne eigentlich niemanden, der Verse in dieser Weise in den Sog ziehen, peitschen, betonen und formen kann, wie Dylan es zu seiner Punk-Zeit 1965/66 vermochte. Außer Johnny Rotten vielleicht, der eine ähnlich pointierte Leistung hinbekam, als er beispielsweise „I don’t want a holiday in the sunnnya!/ I just wanna go to the new Belsennnya“ sang.
Dylans „Holidays In The Sun“ heißt „Subterranean Homesick Blues”, ein atemlos virtuoser, schneller Versfluss, erschienen 1965 auf „Bringing It All Back Home“. Eine unerreichte Fluchtfahrt durch Amerika, die das äußere nach innen kehrt. Die Musik ein schnelles, dichtes elektrisch-akustisches Gelärme, noch so gerade als Blues erkennbar. In Form gehalten durch Dylans virtuosen Schnurgesang. Es gibt auch reine Folksongs auf „Bringing It All Back Home“, jedoch mit einer Schärfe und Attitude gespielt und gesungen, dass sie den elektrischen Songs in nichts nachstehen.
Beispielsweise auf „Gates Of Eden“ oder auch „She Belongs To Me“ bekommen die Lyrics eine nachdrücklich rhythmische Betonung (statt eine melodiöse), wie sie so ganz ähnlich auch im Hip Hop Jahre später eingesetzt wurde. Sowieso hat der Dylan (nur zu jener Zeit? Zu allen Zeiten? Zu bestimmten Zeiten?) ein ähnliches Sprechgefühl wie viele Rapper sie haben. Ich sehe da starke Ähnlichkeit zum Beispiel zu Rakim. Dylan selbst war/ist ja HipHop ziemlich zugetan, er arbeitete mit Kurtis Blow zusammen, der ihn mit Public Enemy, Ice T. und N.W.A bekannt machte. In seinen „Theme Time Radio Shows“ verirrt sich auch immer mal wieder ein HipHop-Track.
Auch toll: Dylan 1965/66 klingt arrogant wie Sau! Du kannst ihm nichts, ich kann ihm nichts, the Government kann ihm nichts. Er arbeitet nicht mehr für jemand anderen. Auf Interviewfragen gibt er Nonsense-Antworten, er versteckt sich hinter seiner Sonnenbrille, den Wuschelhaaren, verrätselten Versen und dem schrammeligen Strom seiner Songs. Dylans Ich war hinter der Linse seiner Kunst nicht scharf zu stellen und ist es bis heute nicht.
Und dann merkte ich irgendwann, dass ich auch über meine Liebe zu Dub-Reggae zu Dylan hätte finden können. Denn Dylan und Dub geht gut zusammen. Auch im Dub wird der Autor vom Track entfernt, durch Elektromechaniker und Tontechniker wie Scientist und King Tubby auseinandergenommen und seiner Ich-Bezogenheit beraubt. An dessen Stelle tritt der abstrakte Effekt, oder ein anderer Sänger oder DJ (oder ein DJ, der über einen anderen DJ drübersingt, der über den Sänger drübersingt).
Aus Zitaten und ganzen Originalpassagen eines Reggae-Tunes entstehen so im Dub wieder neue Texturen, wie bei Dylan, der sich den gesamten Schatz amerikanischer Folk-, Blues-, Country- und Rockmusik einverleibt und mit geklauten Passagen eines japanischen Yakuza-Romans verschränkt, was im Dub der Phase entsprach, als Geräusche und Kontexte von Bruce-Lee-Kung-Fu-Filmen die Dubversionen in neue Zusammenhäge stellten. Auch Dub-Adepten wie Moritz von Oswald entziehen ihren elektronischen Dubs das eigene Ich, geben keine Interviews und lassen sich nicht per Foto oder Film personalisieren. Und Sie dachten jetzt, das kommt bei Oswald/Rhythm&Sound/Basic Channel wegen Elektronik-Background, Weißmusterplattendingens, Pseudonymenspiel und Anonymisierung im Techno-Kontext, was? Hahaha! Aber es kommt von Dylan, Dylan, Dylan!!! Nur Dylan! Lasst mich! Weg! Lasst miph…!!! („wahr“ wird überwältigt, szenerie verdunkelt sich, man hört beruhigend einredende stimmen, bis auch sie verhallen)
„I’m Not There“, der episodische, Dylan kaleidoskopisch spiegelnde Film, ist übrigens nicht so toll. Vielleicht, weil sich Dylan dann eben doch nicht in die einzelnen Phasen seiner Kunst/ seines Lebens aufspalten lässt, ohne dass selbst in der Summe Essenzielles verloren geht.
'i'm not there' fand ich mitunter schon ganz gelungen, allein schon die visuelle umsetzung von 'desolation row' hat es mir angetan. aber die geschmäcker sind halt verschieden, no problem.
ansonsten ist es halt mit dem bob wie bei vielen anderen auch: ein paar meisterwerke (nashville skyline, john wesley harding, world gone wrong, time out of mind, desire, die obligatorischen blonde on blonde + highway 61), einiges unausgegorenes (blood on the tracks, street-legal, dylan and the dead, die bootleg-serie, …) und vieles halt einfach zum knochenkotzen (das christliche gedöns, shot of love, viele verunglückte live-platten, etc..).
der knabe hat schon seinen stellenwert, aber irgendwie wird mir da immer zuviel gewese um seine person und seine aussagen gemacht, nach dem motto 'ich brabbel jetzt mal was kryptisches, irgendwer beisst sich schon die zähne dran aus' (frag nach bei michael stipe…)
ja, dylan hat viel mist gebaut, und mit dem "gewese" hast du auch recht. andererseits hat sich eben in seiner jahrzehntelangen karriere ein faszinierendes gebilde der auf und abs entwickelt. im prinzip ein riesiger haufen amerikanischer musikgeschichte mit dem "american songbook" als quasi religiösem mittelpunkt. und da ist nunmal schwer dran vorbeizukommen, finde ich. zumindest, wenn man dylans gesang ertragen kann und sich die meisten dylanologen (das "gewese" halt :-)) vom leib zu halten versteht. ich kann es aber auch nach wie vor total verstehen, wenn man – wie gar nicht mal wenige – rein gar nichts mit ihm anzufangen weiß.