8. Juli 2025

BRIAN WILSON fürsorgebedürfnisse

Ausgerechnet in den Niederlanden wollten die Beach Boys 1973 nach Jahren kommerziell gefloppter Musik wieder in die Erfolgsspur kommen. Einem Land wie ein Gegenentwurf zum Surf-Paradies Kalifornien: Statt sich den Kräften des Meeres auszuliefern, haben die Niederlande das Wasser ausgesperrt und sich dadurch selbst buchstäblich dem Meer abgerungen. Seitdem wird dort in Flächen gedacht, die das Land mit großem Aufwand und Know-how trocken zu legen imstande ist. Ein bisschen so wie auch Brian Wilson ein paar Jahre vor den Aufnahmen zu Holland (1973) aus Überlebensbedürfnis eine Fuhre Sand dem Meer abrang, in sein Haus schütten ließ und sein Klavier darauf stellte. Mit dem Meer ließ er auch den Surf-Mythos draußen und konzentrierte sich auf seine eigenen inneren, unsicheren Stimmungen. Die ließ er dann in Verse gießen und trug sie ins Studio, fernab der übrigen Beach Boys, die derweil draußen auf den Bühnen immer noch die alten Surf-Geschichten aufführten. Brian Wilson schuf 1966 Pet Sounds mit einem riesigen Baukasten aus Streichern, Perkussionisten, Studiomanipulationen, Hundegebell, Bässen, Fahrradklingeln, Hupen, Experimentierlust und mit seinem damaligen Gespür für das optimale Ineinandergreifen all dieser Komponenten in eine akustische Summe seiner Empfindungen, in der die Note nichts und der Raum alles war. Und ok, die Beach Boys durften dann auch noch ihren Gesang beisteuern. Für Brian Wilson war es ein künstlerischer Triumph, für die Beach Boys ein kommerzieller Abstieg.

Die Texte von Pet Sounds handelten von Verlusten oder den Ängsten davor. Blendender Schönheit wurde auf den Weg gegeben, dass sie verletzlich und vergänglich sein kann. Wilson erteilte der westlichen Idealvorstellung von Unabhängigkeit eine Absage. Er gab zu, abhängig von anderen Menschen zu sein, von ihrer Liebe und ihrer Fürsorge. Den restlichen Beach Boys gefielen die Selbstzweifel nicht. Und ihnen gefielen auch die Arrangements nicht, in denen ihre Stimmen nur noch eine wichtige Komponente neben vielen anderen gleichrangig wichtigen Komponenten war. Dem tyrannischen Vater gefiel es sowieso nicht.

Und dem Publikum gefiel es auch nicht. Brian Wilson’s Barlegen seines Innersten verkaufte sich nicht gut, besonders im Vergleich zu den vorherigen Alben und Singles. Zu ernst die verhandelten Themen, zu komplex die Musik, zu perfekt und gleichzeitig gewagt die Arrangements. Pet Sounds war Fluch und Segen. Der gigantische Ruf, den das Album im Lauf der Jahrzehnte gewann, war damals erst einmal der Anfang eines Karriereknicks der Beach Boys, von denen sie sich in den folgenden Jahrzehnten nur dann sporadisch erholten, wenn wieder eine Best Of der alten Surfnummern chartete, sie parallel auf Tourneen (ohne Brian Wilson) breitgetreten wurden oder neue Aufnahmen auf der alten Welle weiter ritten.

Nach Pet Sounds gelang Brian Wilson dann doch noch mit seinem extraordinären Baukasten aus Studio und Manpower ein Megahit mit „Good Vibrations“, wo er auf textliche Innenansichten verzichtete und aus einem Patchwork glitzernder ineinandergestellter Arrangementideen eine Hymne an die Kraft der guten Stimmung schuf. Das dazu passende Albumprojekt Smile verlor sich in einer Überfülle an Ideen, und dabei verlor sich auch Brian endgültig in Drogen und dem inneren Horror der Depression. Die Kreativitätssplitter von Smile verteilten sich auf die folgenden Alben Smiley SmileWild HoneyFriends, Sunflower20/20 und Surf’s Up und bildeten in ihrer belasteten Vergangenheit (als Teil eines gescheiterten Großwerks) die Zerrissenheit und die tiefen seelischen Kuhlen von Brian Wilson sogar noch beeindruckender ab als Pet Sounds. Denn eigentlich war Pet Sounds für die inneren, zweifelnden Welten von Brian Wilson viel zu makellos. Die sparsameren Arrangements der Nachfolgealben waren in ihren unperfekten Momenten der relativen Leerstellen ein besserer Indikator für den Zustand Brian Wilsons und für die Veränderungen, denen die Beach Boys unterworfen waren. Zumal zumindest mich die opake Perfektion von Pet Sounds immer ein bisschen davon abhielt, in ihnen einen Platz für eigene Reflektionen zu finden.

Die übrigen Beach Boys nahmen die Herausforderung nach dem Abbruch von Wilsons Smile-Projekt an und entwickelten zum Teil erstaunliche Songwriter-Ideen, die die folgenden sieben Alben bis einschließlich Holland künstlerisch trugen. Zu Holland – dem Album, das im Land der das Meer trockenlegenden Niederländer entstand – steuerte Brian Wilson gerade noch zwei Songs und einen mit Synthesizer untermalten spoken words-Beitrag bei. Für mich war Holland lange Zeit die letzte Veröffentlichung von Relevanz, an der Brian Wilson beteiligt war.

Danach kamen Psychotherapien mit akribisch durchgetakteten Tagesabläufen, noch mehr gescheiterte Projekte (wie ein nicht beendetes Album im Stil Frank Sinatras), ganz okaye Solo-Alben, eine blasse Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Smile-Mitwirkenden Van Dyke Parks, ein paar Beach Boys-Wiedervereinigungen und zwei Smile-Fertigstellungen, die mir noch einmal verdeutlichten, dass das Abbrechen des Smile-Projekts und das Suchen nach seinen versprengten Parts auf Bootlegs einen nicht geringen Teil der Faszination ausmachte.

Brian Wilson schien es im Alter ganz gut zu gehen. Entscheidungen wurden ihm abgenommen, Hände zur Unterstützung gereicht, Ehrungen organisiert. Er wirkte wie ein freundlicher alter Mann. In der letzten Phase seines Lebens bekam er Demenz. Am 11. Juni 2025 ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.