2024-04-24

DR. JOHN cracks unter kontrolle

DR. JOHN city lights
1978

Ich kenne die erste von Dr. John, “Gris-Gris”, ebenso „Gumbo“ und ebenso „In the Right Place“. Dazu noch eine Platte von 1974 in faszinierend grottiger Pressung mit faszinierend obergrottigem Cover unter dem Namen „The Nite-Tripper His Very Best“, oder so. Zu den vier genannten Platten passt noch „Desitively Bonnaroo“, die sumpfigen Glam-Stomp mit mittelgroßem Funk-Bahnhof zelebriert und bei der Alan Touissant nicht unwesentlich an den Strippen der Voodoo-Puppe zieht. Allesamt tolle Platten – und trotzdem werfe ich „City Lights“ in die Runde, sollte es einmal so weit kommen, das beste Tonkonservat des umtriebigen Doktors zu benennen. Entstanden 1978, als der Doktor den riesigen Zeremonienmeister-Federschmuck zugunsten eines gut geschnittenen, dunklen Anzugs nebst elegantem Gehstock getauscht hatte, mit dem er sich sodann echt schnieke in die Ecke einer Kunstgalerie statuierte, so zu sehen auf der Coverrückseite. Und ich glaube, er war auch kurz vorher beim Frisör, schon schön waren die Haare gelegt. Bedenkt man nun noch, dass sich auch David Sanborn – der nicht unwesentlich dazu beitrug, dass das Gefühlssaxophon so einen abgestandenen Geschmack bekam und in der Folge die 1980er Jahre vergiftete – in die Riege der recht prominenten Studiohengste einreihte, ist es schon erstaunlich, wie überzeugend „City Lights“ doch gelungen ist. Ja, von allen Dr.-John-Platten ist es diejenige, die ich mit Abstand am häufigsten in den letzten Dekaden gehört habe. Produziert und bespielt auch unter anderem von Gitarren-Oberprofi Hugh McCracken, von dem ich mir gut vorstellen kann, dass sein Nachname nicht unentscheidenden Anteil an der Wortschöpfung „Studiocrack“ hat. Aber jeden Gedanken an fade Studiomuckermusik kann man sich auf „City Lights“ abschminken. Nicht weil hier nicht absolut professionell rumgemuckt wird, sondern weil das Ganze auf der Basis wirklich toller Songs passiert, das Muckertum also in disziplinierte Bahnen gelenkt wird, die ich Dr. John so gar nicht unbedingt zugetraut hätte. Der Doktor ist auch gesanglich absolut auf dem Höhepunkt. Und an den Songs hat zudem noch New-Orleans-Legende Doc Pomus mitgeschrieben. Das erklärt vielleicht ein wenig ihre zusätzliche Klasse. Und so hangelt sich jede der zwei Plattenseiten von slickem Funk mit kleinen Jazz-Umwegen über New-Orleans-betatschte und mit Backgroundsänger/innen beseelte Stücke bis zum jeweiligen Schlusspunkt, der beide Male aufs Wunderbarste in Elegie verpackt wird, und zwar durch gewohnt scharf und lang gezogene Streicherarrangements meines Lieblingsstreicherarrangeurs Claus Ogerman. Auf der Rückseite des beiliegenden Textblatts ist der smarte Doktor in seinem gut geschnittenen, dunklen Anzugs plötzlich aus der Galerie-Ecke verschwunden. Nur sein eleganter Gehstock steht noch da wie ein überdimensionierter Zauberstab. Er hatte also auch Ende der 70er Jahre das Hexen nicht verlernt!