GRAILS deep politics2011
Auch dieses Jahr wird wieder rundum geschlagen. Denjenigen, die über die häufig gepflegte Tradition der Jahresrückblicke meckern müssen, sei gesagt, dass das kalendarische Jahresende auch meist eine Zeit ist, in der man ein wenig aus dem Arbeiten herauskommt, der Kopf aber noch so im Arbeitsmodus steckt, dass er endlich mal aus freien Stücken formulieren will, bevor dann die große, lähmende Erschlaffung der Festtage folgt. Jahresrückblicke zur Weihnachtszeit bieten sich daher gut an, diesem Formulierierungsdrang ein flauschiges Heim zu bereiten. Schallend lachend mit dem Finger zeigen sollte man dagegen auf Jahresrückblicklisten, die nur kommentarlos Name und Titel hinklatschen und denken, mit einem stumpfen YouTube-Link wäre auch nur irgendwas erklärt. Listen und Rückblicke gehören mit begleitenden Worten geschmückt, sonst sind sie (außer für den Auflister) völlig uninteressant.
Also an die Arbeit.
Gearbeitet habe ich übrigens mal für ein global aktives, amerikanisches Unternehmen, wo sich ein Tropf berufen fühlte, eine CD voll „motivierender“ Unternehmensmusik zu komponieren. Die Tracks wurden mit kurzen Beschreibungen hinterlegt, die die stimulierenden Effekte für Mitarbeiter und Konsumenten herauszustellen versuchten. Ich habe die CD leider nicht mehr finden können. Auf Tagungen kam die völlig bedeutungslose, auf Simpelstdramatik und handzahmen Midi-Sounds aufgebaute Musik auch nie zum Einsatz. Dort lief immer nur „I Got The Power” (Snap), „Simply The Best“ (Tina Turner) oder „All Together Now“ (The Farm). Umso mehr weiß ich die feine Ironie der trippigen Spießgesellen namens GRAILS zu schätzen, die eben genau mit dem Unterbau „Unternehmensmusik“ ihren sieben Giganto-Post-Rock-Tracks auf „Deep Politics“ ein subversives Fundament bereiten, um deine niedersten Kaufimpulse zu wecken, lieber Verbraucher. Welcher Verkaufsartikel nach dem Anhören allerdings den Weg in den Warenkorb findet, vermag ich nicht zu sagen. Wird er Glück versprechen oder allgemeine Lähmung? Ich wähle letzteres. Denn GRAILS sind Meister in der Vermengung von kellerfolterig dunklen und dröhnenden Stimmungen mit ihren irgendwie hauptstromigeren Verwandten, die da wären zum Beispiel Ennio-Morricone- und ähnlich gekonnt mystifizierende Score-Kompositionen, Indien, Castaneda-Schamanentum, Strange Listening Musik von Martin Denny oder Esquivel bis zu den Töchtern von „Bilitis“. Diesmal lassen GRAILS das Pendel mehr in Richtung Morricone ausschlagen, es hat aber auch schon Alben gegeben, wo das Folterverlies durch Pappmaché-Wände aus Eso-Versatzstücken einen etwas anderen Tarnanstrich bekam. Es lohnt sich jedenfalls immer wieder, diesen ernstzunehmenden Scherzkeksen in ihre Monumentaltracks zu folgen.
Musik 2011 wird fortgesetzt
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