2024-03-19

PAUL METZGER: raga zoink! (extended edition)

Ein geheimes Handlungspapier in der Schublade meines Vertrauens skizziert ein grob geplantes Projekt, welches sich mit einer Performance auf einem präparierten Banjo beschäftigt. So wollte ich zwar nicht reich, aber immerhin berühmt werden in abseitigen Zirkeln, die sich mit dunkler, primitiver Musik beschäftigen. Zwar kann ich kein Banjo spielen, ja ich beherrsche auch ansonsten kein Instrument, aber das wollte ich dann schon lernen.

Dann entdeckte ich Paul Metzger, US-amerikanischer Banjo- und Gitarrenspieler aus Saint Paul, Minnesota, der meinen Plan augenblicklich zu Staub zerfielen ließ. Metzger spielt auf einem 21-saitigen prepaired and modified banjo (und auf einer heavily modified acoustic guitar) eine dermaßen virtuose, klirrende und von allen Ketten befreite Raga-delia, dass mir augenblicklich klar wurde, dass ich noch nicht mal in drei Leben auch nur annähernd in die Nähe dieser Kunst kommen würde. Mir blieb nur die Möglichkeit, in Windeseile alles an mich herantragen zu lassen, was dieser Mann auf Trägermedien veröffentlicht hat.

Paul Metzger spielt und zerrt und schlägt das ins Heute, was andere Spieler wie John Fahey, Jack Rose, Sandy Bull oder Peter Walker aus amerikanischen und indischen Einflüssen entwickelt haben. Ganz typisch für Metzger: Ein Gleiten und Stocken des Stroms. Die meist sehr langen Tracks entwickeln sich oft zu Stop-And-Go-Ragas, die ihren Weg kurz in kontemplativere Szenen finden oder in die Resonanz des Klangkörpers, wenn Metzger ihn mit der flachen Hand schlägt. Dann wieder zieht das Tempo schwindelerregend an, ein Motiv schält sich heraus, es taucht verändert auf und ab. Faszinierend ist, wie Metzger ständig sucht und sucht – und wenn er etwas findet, das es ihm Wert erscheint, schmeckt er diesen Fund durch, er sucht also selbst noch in dem, was er findet, etwas Neues, Besseres, Aufregenderes.

Dass Metzger von gänzlich unelitärem, dem Hässlichen nicht abgeneigten Punk und seinen freieren Ensemble-Spielarten wie Free- und Post-Rock kommt, ist seiner Musik immer anzumerken. Das macht sie weitgehend resistent gegen Verkopfung. Metzgers Musik hat stattdessen immer einen Körper, der gefordert wird, der sich auf dem Erreichten nicht ausruhen kann. Wird es zu bequem, knallt Metzger einen „Hallo wach!“-Akkord rein, der schmerzt und im Ohr sirrt. Dann wieder wird eine sanftere Fährte gelegt, bei der man aber nie sicher sein kann, welche Kreatur an ihrem Ende warten wird. Eine enorm spannenden Musik ist das.

Am Besten finde ich Metzgers Forschungen, wenn er sie auf seinem 21-saitigen Banjo begeht. Der harte, metallische Klang wird durch die Extrasaiten in tausend schnarrende Zwischentöne zerplittert. Ein Sound, vollständig gegen Kitsch gewappnet, zerlegt die Traditionen des Instruments in improvisierte, aber durchaus wiedererkennbare Einheiten.

Metzgers letzten beiden Studio-Veröffentlichungen möchte ich besonders empfehlen: „Deliverance“ von 2007 findet noch den ein oder anderen gut nachvollziehbaren Anker in Folk- und Raga-Elementen, auch wenn Metzger die Grenzen schon weit überschreitet, hin zu freien und fordernden Gestaden. Bereiche, in denen meines Wissens noch kein Banjo zuvor so virtuos malträtiert wurde. Drei Tracks zwischen 9:32 min und 31:07 min sind enthalten.

Metzgers letzte (und radikalste) Platte trägt bezeichnenderweise den (deutschen) Titel: „Gedanken Splitter“, was aufs Beste beschreibt, dass es hier nicht um ein wohliges großes Ganze geht, sondern um Widersprüche, Gedankenschleifen und Übersprungshandlungen. Die drei Stücke tragen deutsche Titel: „Geschenk“, „Zugentgleisung“, „Gedanken Splitter“. „Geschenk“ ist eine sechsminütige, schafkantige Meditation, bei dem Metzger sein Banjo mit einem Geigenbogen bearbeitet. „Zugentgleisung“ entwickelt sich zu einer aberwitzig gefährlichen Schussfahrt. Metzger lässt die Saiten scharren und rauschen, jäh bremsen und rasen. Der letzte Track „Gedanken Splitter“ lässt mehrere Themen kummulieren und wieder auseinander driften. Ein Spiel mit Assoziationen, ruhigeren Parts und stressigeren Überlagerungen. Ganz so, wie sich auch Gedanken überlagern und an Assoziationen entzünden. Spannend, abwechslungsreich und radikal. Meine Platte des Jahres.

Warum schreibe ich das alles? Darum:

Paul Metzger spielt am 27.10. im Kölner „Stadtgarten“!

Ich hatte gehofft, er würde auch nach Hamburg kommen. Aber leider habe ich nur diesen einen Deutschland-Termin gefunden.

Soundbeispiele:
Ausschnitt aus „Orans“ vom „Deliverance“-Album Ausschnitt aus „Zugentgleisung“ vom „Gedanken Splitter“-Album Ausschnitt aus der Performance von Paul Metzger am 26.10.2008 in Prag. In der zweiten Hälfte ist Daniel Meier an der schwindelig machenden Violine zu hören. Passen gut zusammen, die beiden.

2 Gedanken zu “PAUL METZGER: raga zoink! (extended edition)

  1. Auf diesen Artikel bin über ZEIT-Online gekommen. Witzig dass dort der erste Kommentar zur Platte des Jahres gerade auf Paul Metzger fällt.
    Metzger hatte auf seiner Europatournee auch zwei Konzerte in Prag. Von einem gibt´s ein kurzes Video hier: http://vimeo.com/2112499

  2. Hallo Daniel,

    danke für deinen Kommentar und den Videolink! Großartige Musik, die mich einmal mehr bedauern lässt, dass Metzger dieses Jahr nicht in Hamburg Station machte. Auch dein irrwitzig strudeliges, virtuoses Geschabe auf der Violine gefällt mir ausgezeichnet. Ich werde den Videolnk in den Text zu Paul Metzger einbinden.

    Viele Grüße
    wahr (a.k.a. wahrensfeld)

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