Vollständig in das viktorianische Weiß von Bluse und Decke getaucht – selbst ihr Gesicht erstarrt im weißen Licht – schimmern nur ihre lose im Schoß verschränkten Hände hautfarben und durchblutet. Sie bilden die Form der ungeschützten Scham. Mit „White Chalk“ gibt Polly Jean Harvey die Kindheit preis. Ihre und diejenige, die sie wahrscheinlich durch Abtreibung verhinderte. Sie spricht von ihrer Großmutter und von anderen Erinnerungen an ihren Geburtsort Abbotsbury, Dorset, am Fuße der St Catherine’s Chapel. Sie singt in einfachen Reimen und so von ihr noch nie vernommener Zurückgenommenheit. So pendelt „White Chalk“ von Kinderlied zu Kindererinnerung zu einfachsten Klaviertönen und der Gleichzeitigkeit aller Zeiten im individuellen Erleben einer Erwachsenen.
Gut 30 Minuten davon hat sie kondensiert. Ein wahres Kunstwerk einer reflektierenden, sich nicht der Wiederholung schuldig machen wollenden Künstlerin. Der Rest ihrer kreativen Produktionen in jener Zeit hat (auch gleichzeitig) die anderen PJ Harveys beinhaltet: die der Gitarren, die der Schreie (statt des schüchternen Wimmerns hier). Sie werden vielleicht später noch folgen. Und natürlich wie bei fast jeder guten Musik, hört man auf „White Chalk“ auch das, was gar nicht da ist – nämlich diese anderen PJ Harveys – einfach mit. Aus der Geschichte herausgebogen, scheinen sie aus allen Zeiten zugleich von Ferne herüberzuwinken.