PUBLIC IMAGE LTD.
Second Edition / Metal Box
1979
Es ist an der Zeit für ultra-dünne Verzerrgitarren. Das dachte ich, als ich letztens „Soldier Talk“, eine alte Platte (1979) der Red Crayola, auflegte.
Aber es ist schon klar, warum der dünne Verzerr-Klang nie in seiner soundtechnisch kümmerlichen Pracht in den heutigen Zitate-Kanon der End-Siebziger aufgenommen wurde. Zu unangenehm, zu wenig beeindruckend wirkt er. Zu wenig öffnet sich der Sound, er bleibt dicht am Körper, ist schmächtig und insektig, er holt nicht aus und vereinnahmt nicht. Er nervt nur.
Und er will auch nerven. Daher meiden wuchtige Indie-Bands wie Interpol ihn, obwohl sie sich ansonsten so deutlich auf die End-Siebziger beziehen. Selbst die Liars, die am Anfang dieser Dekade noch am ehesten auf „They Threw Us All In a Trench And Stuck a Monument On Top“ in die Nähe der dünnen E-Gitarren gekommen sind, haben sich dann doch eher auf Krach mit Telefonstimme, Gang Of Four und Zicken-No-Wave-Funk konzentriert. Die ultra-dünne Verzerrgitarre fristet deswegen ein Dasein ausserhalb der heutigen Zeit. Beziehungsweise fristet sie überhaupt kein Dasein mehr.
In jener Zeit jedoch, als hässliche und fiese ultra-dünne Verzerrgitarren wirklich wegen ihrer Hässlichkeit und Fiesheit eingesetzt wurden, als man versuchte, damit Wirklichkeiten abzubilden, die über den Horizont rein Ich-bezogener Inszenierung hinausgingen, erschien „Second Edition / Metal Box“ von Public Image Limited.
Es ist auch heute noch kaum zu glauben, wie weit PIL ein herkömmliches Band Line-Up – Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboard/Synthesizer – hinausgetragen haben, indem sie die traditionellen Gewichtungen veränderten: Das Schlagzeug und der Bass weit, weit vorne; die Gitarre ausgedünnt, verzerrt, sirrt stichelnd wie ein lästiges Insekt; der Sänger (war kurz vorher in einer berühmten Punk-Band) ist nach hinten gemischt, er hält keine Refrains/Strophen mehr aufrecht, er proklamiert beiläufig, als zitiere er Satzfetzen aus einem zufällig mitgehörten Gespräch, ist dann wieder giftig, zynisch und herablassend. Oft ist er gar nicht da, überlässt das Vakuum einem scheinbar zufälligen Synth, der nur einmal wirklich einlullt, nämlich im letzten Stück, „Radio 4“, einem intelligenten Kommentar zu Formatradio und Kaufstimulation.
Eine der vielen die Dekaden überdauerten Sensationen von „Second Edition / Metal Box“ ist der Sound der dominanten Basis: Bass und Schlagzeug, die selbst heute in ihrer Raum einnehmenden Kraft unerreicht sind. In fast 30 Jahren nicht getoppt – eine beachtliche Leistung! Und der Höhepunkt der Sensationen ist das Dreigestirn, das die dritte Seite ausmacht: „Socialist“ / „Graveyard“ / „The Suit“. Ersteres war lange Jahre das Titelstück von „John Peel’s Music“, welches wiederum mit „Careering“ (ebenfalls auf dem Album enthalten) ausklang. Mittleres hat den zwingensten Drum-Bass-Part, der sich im Zusammenhang von Experiment, Wave, Track und Song denken lässt. Und letzteres ist die mit dunklen Schritten begleitete Analyse der sich abstrampelnden Pentler zwischen Büro und Heim, zwischen offiziellen Anlässen und institutionalisierten Freizeitbeschäftigungen. Ein Leben zwischen Einrichtungsgegenständen, Sportclub-Mitgliederausweisen und Saisonkarten:
It is your character
Deep in your nature
Take one example
Sample and hold
…
Everyone loves you
Until they know you
…
Society boy
On social security
It is your nature
Tennis on Tuesday
Sipping champagne
Football on Sunday
Ich weiss nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber mich hat die zeitlose Größe dieser Musik mehr beunruhigt, als dass ich mich darüber freuen konnte, nachdem ich es nach langen Jahren wieder hörte. Kann ein 28 Jahre altes Werk immer noch heutig sein? Und wenn es das nicht kann, ich es aber so empfinde, bin ich dann noch zu retten?
1. Ja, kann es.
2. Nein, bist du nicht.
Hast du schon Rip It Up gelesen?
Kennst du das Levene-Interview aus der WIRE? Das war hervorragend, ich müsste mal suchen … (Langzeitprojekt, du weisst, der Boden…) – als Ausgleich, für die Zwischenzeit: http://www.fodderstompf.com/INTERVIEWS/keithint.html
weder rip it up noch das levene-interview im wire habe ich gelesen. in welcher ausgabe stand es denn? ach so, du musst ja erst auf den boden. egal. dafür ist das verlinkte interview tatsächlich sehr gut. dankeschön.