William Basinski
The Disintegration Loops (2002)
The Disintegration Loops II (2003)
The Disintegration Loops III (2003)
The Disintegration Loops IV (2003)
Anfang 2001 beschäftigte sich der in Brooklyn lebende Musiker und Komponist William Basinski damit, einige analoge Bandschlaufen, die er bereits 1982 aufgenommen hatte, zu archivieren und zu digitalisieren. Die Musik bestand meist aus getragenen Synth-Streicher-Motiven, im Loop in erhabene Bewegung versetzt. Für Basinski ein Sound, den er untrennbar mit seiner Jugend und den räumlichen Dimensionen pastoraler amerikanischer Landschaften verband. Basinskis „Lost Paradise“, wie er es in den Liner-Notes zu den Disintegration Loops beschreibt. Beim Abspielen der Tonband-Loops mit der Bandmaschine bemerkte Basinski erschrocken, wie sich die Musik mit zunehmender Runde verzerrte und ausdünnte. Das Band verlor mit jeder Umdrehung Eisenoxid-Partikel. Zurück blieben immer mehr leere Stellen, bis schließlich fast alle Partikel nach und nach zu Staub zerfallen waren. Am Ende war nur noch ein durchsichtiger Plastikfilm übrig, an dem noch vereinzelt kleine Stellen mit Eisenoxid beschichtet waren. Aufgewühlt verfolgte Basinski, wie der Träger all der Emotionen und Bilder, die er mit den Loops verband, unwiderruflich in das Innere der Bandmaschine rieselte. Basinski hörte seiner eigenen Musik beim Sterben zu.
William Basinski verfasste noch ein Postscriptum zu seinem Einleitungstext der Disintegration Loops, nachdem er unmittelbarer Zeuge eines anderen, ungeheuerlichen Zerfalls wurde: Er sah mit eigenen Augen vom Dach seiner Wohnung, eine „nautische Meile“ entfernt, die Türme des World Trade Centers zusammenstürzen. Geschockt beobachtete er, wie die Feuer bis in die Nacht hinein brannten, während im Hintergrund die Disintegration Loops liefen. Er widmete sie daher den Opfern (den Toten und den noch Lebenden) des Attentats. Man muss die Musik aber nicht zwingend damit verknüpfen, es reicht schon aus, die feinen Eisenpartikel immer weiter vom Tonband abbröseln zu hören, dem bisweilen sehr einsam machenden Fortgang des langsamen Verschwindens der Musik beizuwohnen, dessen Schrecken und Trauer in der Transformation auf ein anderes, vielleicht dauerhafteres Medium auch etwas tröstliches innewohnt.
Ich schrieb einmal im Halbrausch zur Doppel-CD „Koen“ des Belgiers Jürgen de Blonde alias Köhn als Quintessenz seiner elektronischen, prozessual entstandenen Musik, dass man daraus lernen könne, dass Verzerrung Schönheit nie zerstört (auch wenn der Begriff ‚Schönheit’ in der Kunst arg strapaziert wird). Dies passt auf die Disintegration Loops von Basinski mindestens genauso gut.
Auch kamen mir die Disintegration Loops in den Sinn, als ich einmal in einem Musik-Forum eine Diskussion über das Popkultur-Dauer-Thema ‚Idealer Popsong’ verfolgte. Legt man einem Popsong Elemente des Dramas, der Wiedererkennbarkeit, der Wiederholung und dessen Variierung zugrunde, dann haben die besten Disintegration Loops der vier CDs alles, was ein perfekter Popsong benötigt.
Sie lehren mich zudem noch, was prozessuale Musikproduktion bedeuteten kann, nämlich etwas entstehen zu lassen, was aus rein bewusstem, immer steuerbarem Komponieren nie hätte entstehen können. Oder wäre ein Konzept wirklich vorstellbar, bei dem man Magnetbänder 19 Jahre einlagert und verrotten lässt, um sie dann vom Abrieb des Tonabnehmers Loop für Loop langsam zerbröseln zu lassen, und aus der sich als Folge davon nach und nach eine derart hochemotionale Musik mit jeder Umdrehung weiter verdichtet, je mehr Informationen die Musik verliert?
Die Disintegration Loops sind als „Full Tracks“ auf
last.fm anhörbar.