Unser Lieblingssünder, der Hüter des schlechten Gewissens, dessen Vorfahren sich einst aus den mückenflirrenden Gewässern Skandinaviens in die niederwerfende Wüstenhitze des Gelobten Landes schleppten, hat wieder mal eine alttestamentarische, erbarmungslose Platte des inneren Schmerzes und des heiligen Schwertes gemacht. Abgeschwollen will ich in Stein schlagen: David Eugene Edwards (DEE) hat als Wovenhand eine neue Platte draußen. Und sie ist so gut wie die beiden davor, vielleicht noch archaischer, noch weiter entfernt, angesiedelt in jene Epoche, in der es noch nicht mal die Bibel gab. Ackerbau war lebensgefährlich, und ein bisschen zuviel Sonne des HErrn konnte eine Ernte vernichten und somit schwer schuftende Menschen schneller verhungern lassen, als du Nebukadnezah in die vertrocknete Erde schreiben kannst. Damals fing man aus Todesangst zu beten an. Und wenn man überlebt hatte, während die Liebsten leblos verscharrt werden mussten, dann verschmolzen Leben und Tod zu fiebriger, schmerzvoller Einheit. Und natürlich muss das „Mosaic“ von Wovenhand auf dem Cover die Vergänglichkeit vor dem HErrn darstellen. Die Puzzleteile der Existenz ergeben in der Summe, wenn alles gut gegangen ist, den Staub, zu dem du zerfällst. Der Tod als Lebensziel. Zumindest wenn du es in deinem mickrigen Leben dem HÖchsten nicht an Respekt hast fehlen lassen. Solch dunkel zehrende Platten, die die Furcht vor dem Schöpfer lehren, erscheinen dann auf „New Jerusalem“. Schwere Götterscheiße vergessener Zeiten, als man mit Puppen aus Hirschleder spielte, sich Elchzähne um den Hals hängte und schwer atmenden Bullenviechern im Zwielicht begegnete. Ein archaischer Klops von Meisterwerk.
Werner Ahrensfeld
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6 Gedanken zu “Woven Hand: Zu Zeiten vor unserer Zeitrechnung”
Kommentare sind geschlossen.
ich habe die kommentare wieder gelöscht, da sie ja nur tests ohne weiteren Inhalt waren.
nun klappt also alles und wir können uns über die kulturelle bedeutung von elchzahnketten im 21. jahrhundert unterhalten. 🙂
eine sehr liebevolle dietmar dath-parodie, dieser text. ein lächerlich überschätzter haufen goth-schmock dagegen die besprochene platte. so steht es nun in diesen blog gemeißelt auf alle ewigkeit. erst kürzlich machte ich einen dieser überaus seriösen online-persönlichkeits-tests, der in diesem fall lautete "which religion is most suitable for you?". mein ergebnis las sich auf den ersten drei plätze wie folgt:
1. satanism
2. atheism
3. pagan
…
(das christentum landete auf dem letzten platz)
statistisch gesehen sollte mir also diese art von musik gefallen. tut sie aber nicht – bin viel zu albern für einen satanisten. na, auch egal.
donnernde grüße aus grüner götterscheiße,
olli
hallo olli,
vielleicht wäre der Menschheit einiges erspart geblieben, wenn auch Moses, als er mit den Tafeln vom Berg runter kam, jemand zugerufen hätte: "Ein lächerlich überschätzter Haufen Goth-Gebote!" Anderseits kann die in der Bibel gesetzte Vertrickung von Schuld und Furcht und Gewürm eben auch ein meisterhaftes und archaisches Dunkelgewummer und -gezupfe hervorbringen lassen. Zumal wenn man, wie Pfarrerssohn David Eugene Edwards, den heiligen Staub amerikanischer Kirchen in the middle of nowhere gefressen hat.
mit den rosinen hast du aber recht. ich werd's verbessern.
und mit dath-texten konnte ich noch nie was anfangen. 1999 war ich daher fast so weit, die spex nicht mehr zu kaufen.
deine mail werde ich in kürze beantworten. entschuldige die verzögerung. ich war zu geschockt über deine steel-drum-verunglimpfungen. 🙂
p.s. wieso kommt mir mein kommentar so gefaked vor? ich fühle mich irgendwie schäbig…
schuld…
sühne…
furcht…
nichts gegen erfürchtiges gewummer als kitschmoment – ich bin ein großer fan von nick caves roman "und die eselin sah den engel" – aber diese musik nimmt sich so furchtbar ernst in ihrer "archaik"… nur weil man am arsch der welt aufgewachsen ist, hat man noch lange nicht das brodelnde urwissen vergangener kulturen eingeimpft bekommen oder jesus durch den sand inhaliert. aber ja, desert credibility is the new street credibility. hauptsache cre… irgendwas.
nun soll es aber genug sein. wer das esoterische gejodel hören mag, lässt sich ganz bestimmt nicht von meinen ultraklugen verlautbarungen davon abhalten. was weiß denn ich schon. ich weiß ja noch nicht mal, wer moses war.
in liebe,
olli
(sister of mercy)
p.s. heute soll ein gewaltiger orkan durch's land fegen – archaik gratis für alle. vorsicht bei der musikauswahl! 😉
ja, mit pathos als kitsch kann man sich bei woven hand (oder bei dessen vorgänger 16 horsepower) nichts schön hören. warum ich das woven hand/16HP-zeug trotzdem so liebe, kann ich eigentlich nur dadurch erklären, dass
a) edwards ein sehr charismatischer performer ist
b) ich ein faible für typen habe, die sich aus ihrem katholizismus (oder den ismus eines anderen christlichen vereins) nicht befreien können, obwohl sie es versuchen, und den VAter wirklich FÜRCHTEN, ständig mit ihm hadern, und gleichzeitig mit sich hadern, weil sie doch voller sünde … usw. ein teufelskreis (jawohl), der manchmal zu sehr spannenden ergebnissen führt. natürlich gehört dazu noch etwas anderes unabdingbar: ein großes musikalisches talent. ich finde, der edwards, der hat es. gordon gano (der ältere, ironisch-sarkastische zweifler und bruder im geiste von edwards) hat es auch. selbst oder gerade dann, wenn er den VAter an der grenze zur erträglichkeit anwimmert. das hat halt mit kirchentags-christenrock-happyhappy-dingdong nichts zu tun. die beiden meinen das tatsächlich ernst, die zweifeln und beschäftigen sich und zweifeln und fürchten und drohen und beten und existieren. und fragen sich warum sie existieren und wieder von vorn
c) 16 HP sind die legitimen nachfolger des gun clubs und in alter amerikanischer volksmusik verwurzelt. und daher habe ich dann auch irgendwann den zugang bekommen.
es lag mir fern, woven hand mit kirchentags-christenrock-happyhappy-dingdong in zusammenhang zu bringen. ich sehe ja auch das ernst gemeinte zweifeln, drohen, wummmern und bummern, bei mir landet es halt nicht auf vergleichbar fruchtbarem boden wie bei dir. da hat der "herr" halt vergessen zu düngen…
es ist ja auch die frage, was aus der angst, der erfurcht und dem ganzen verkorkstem upbringing erwächst. und mir sind da künstler lieber, die sich daraus berfreien anstatt sich darin zu suhlen.
und musikalisch bleibt's… äh… geschmackssache.
hallelujah,
olli