Melvins-Metal und Post-Rock als Vektoren, um Länge und Tiefe, Strömungsverhalten und Wellenstruktur des Ozeans zu erfassen? Was hätte der olle Vermessungsaddikt Humboldt wohl dazu gesagt? Vielleicht gar nicht mal schlechtes, denn dass selbst Tiere ihre Umgebung mittels Echolot abscannen, dämmerte ihm ja damals schon, als er Fledermäuse in feuchten Erdhöhlen beobachtete. Warum also nicht exakte, schallwerfende Kompositionskunst dazu benutzen?
Ich habe diese Band ISIS, die zwei „Aarons“ in ihren Reihen zählt, kaum erforscht, aber das macht ja nichts, der Ozean ist schliesslich auch kaum erforscht und trotzdem schippert man drauf rum, geht drin baden, schluckt Salzwasser und ist jedesmal wieder froh, heil an Land zu kommen. Und ich will auch gar nicht so genau wissen, was für womöglich zweifelhafte Typen das in Wirklichkeit sind, die mich in diesen gewaltigen Sound tauchen. Nur so viel: Sie kommen aus Boston, und dort versteht man sich ja traditionell aufs Schiffe versenken. Das reicht mir an Info, denn ich bin eine verletztliche Seele, die Schreckliches schwer wieder vergisst. Lieber denke ich bei ISIS an ein Wissenschaftlerteam aus Geologen, Biologen, Geophysikern und Nautikern. Allesamt ehrbare Naturwissenschaftler, die aufbrechen, um den Ozean zu erforschen, so wie jene aufrechten, kopfgesteuerten Forscher in den Geschichten H.P. Lovecrafts: integer und voll logischer Vernunft – bis sie den Verstand verlieren und so rumschreien, wie ISIS es zu tun pflegen, wenn sie denn mal ihre Stimme – äh – heben wäre hier das falsche Wort.
Ich kleinbürgerliches Weichei musste mich natürlich erst an diesen schröcklichen Gesang gewöhnen, ein Schreien und Grunzen unter schwierigen akustischen Bedingungen, so scheint es. Aber wer kann sich auch schon unter Wasser mit seiner Stimme verständlich ausdrücken? Selbst Sätze, die in freundlicher Absicht formuliert werden – „Hallo, schön, dass du gekommen bist!“ – klingen im Ozean wie das Grollen und Donnern plötzlich in Bewegung geratener Korallenbänke. Bis heute weiss ich nicht, ob die wenigen Zeilen, die zu den Tracks im Booklet abgedruckt sind, die Lyrics darstellen sollen, oder einfach nur die Stimmung anheizen: „… as he teetered on the edge, with his eyes rolled back, jet streams criss crossing over his head, the sun laid his wavering shadow over the surface of the water“. Hä? Aus den heiseren Gurgel- und Schreilauten ist jedenfalls keines dieser Worte zu entziffern.
Für die Musik scheint unser Scientisten-Team zu rein wissenschaftlichen Zwecken Dynamit-Fischen im Sankt-Andreas-Graben zu betreiben. Kolossal-Metal ohne Hochtonsoli, der reine Melvins-Sound in langsam und episch. Dazwischen sind ambient-ähnliche Strecken eingruppiert, Post-Rock-Regenerierungen aus Breitwand-Schlagzeug und Bass-Figuren. Die Art von Ruhe und Erholung, die eine Taucherkugel ausstrahlt, die sich von der Kette gelöst hat und ZEN-mäßig in den Abgrund schwebt, beleuchtet von einer dämmrigen Allee aus Laternenfischen – bis dann wieder gewaltig der Ozean vermessen wird. Und ich nehme jede Messung mit Freude auf, denn ISIS sind meiner Vorstellung des idealen, allumfassenden Metal-Sounds, den ich sehr konkret im Kopf habe, schon verdammt nahe gekommen. Wahrhaft ozeanisch und mich immer erfrischt und mit bester Laune ans Ufer spülend.