Irgendwann gegen Ende der zweiten 1980er-Hälfte entdeckte ich bei WOM in Kiel einen kleinen Stapel Soul-LPs für jeweils fünf Mark. Ich kannte nichts davon, kaufte aber so vier bis fünf Platten (für mehr reichte mein sauer verdientes Geld als Student nicht aus) und entdeckte dadurch Hi-Records – und somit Al Green, Ann Peebles und den Produzenten Willie Mitchell.
Seitdem liebe ich den rauen Hi-Records-Sound der 1970er Jahre, das nach vorne gemischte, einfache und ungeheuer effektive, scheppernde Schlagzeug von Howard Grimes, das gefühlvolle Keyboard von Charles Hodges und die Memphis Horns und (manchmal) Strings, die nie einen Song egozentrisch an sich reissen, sondern ihm immer zu Diensten sind – nicht devot zu Diensten, sondern selbstbewusst zu Diensten for the sake of the song. Mit Hi-Records ist es so wie mit altem Reggae: Er hält die Zeit aus, gerade weil seine Grooves diesen abrasiven Sound eines limitierten Studio-Equipments haben und weil sie selten schnell oder nach gängigen Moden verschnörkelt sind. Werde ich hören, bis ich sterbe.
Wahrscheinlich entstand der typische, billige Hi-Sound eher aus der Not heraus und nicht aus Absicht, denn Produzent Willie Mitchell konnte sich kein Superduperstudio leisten, wie beispielsweise das Curtom-Label von Curtis Mayfield. Er haute die Sachen eher schnell raus und hatte dabei seine fantastisch tretende Backing Band im Rücken. Für mich war die Stammbesetzung der Hi-Aufnahmen das für Soulmusik, was die Hausband von Studio One um den Organisten Jackie Mittoo für Reggae war: Unantastbarer Garant, um einen Song ohne Firlefanz zum Schwingen zu bringen.
Ende der 1970er Jahre erlebte Hi-Records einen kommerziellen Niedergang und wurde schließlich verkauft. Al Green tauschte die Zelebrierung von Sex und Liebe endgültig gegen diejenige von Jesus Christus ein, und die nachgefragten Sounds im Soul änderten sich allmählich in Richtung dünner Synthie-Arrangements.
Ich habe den Weg Willie Mitchells in den letzten Jahren nur am Rande verfolgt. Ich las, es wäre ihm gesundheitlich nicht so gut gegangen, als er 2003 noch einmal mit Al Green eine Platte im originalen Hi-Records-Sound aufnahm. Mich erreichte die Platte nicht mehr besonders tief, denn mir erschien die Limitierung des Sounds zu gewollt. Sie wirkte wie ein absichtlicher Rückschritt in eine Retro-Welt, anstatt dass sie, wie auf den klassischen 1970er Aufnahmen, eine wirkliche soundtechnische Limitierung mit aller Kraft und allem Enthusiasmus versuchen wollte zu überwinden.
Vorgestern las ich, dass Willie Mitchell in der vergangenen Woche am 5. Januar in Memphis an Herzversagen gestorben ist. Er wurde 81 Jahre alt.
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