Tom Waits
Real Gone
2004
Fiese kleine Drecks-Lieblingsplatten sind gerade gut genug für eine übel riechende Nennung auf diesem extrem unanständigen ZU-ZEITEN-Blog. Amoralisch. Widerlich. Ekelerregend. Hinterhältig verstecken solch kleinkriminelle Platten ihre Qualität hinter hässlichen Oberflächen. Ihre Töne führen in Sackgassen, die noch keine Müllabfuhr je betreten hat. An ihren scharfen Kanten wartet die Kretze. Wer hat sich nicht als Kind das aufgeschlagene Knie mit Sand eingerieben, damit es schneller heilt? Ich habs getan. Straßenschmutz in den aufgeschürften Stellen zeugen noch heute davon.
Ich werfe daher eine Platte in die Runde, die nicht nur schmutzig ist – sie wurde sogar in der Toilette aufgenommen! Gesungen vermutlich unter der Klospülung, besuhlt mit rostigrotem Spülkastenwasser. Warum tat Tom Waits ihr das an? Weil’s anders nicht funktioniert hat! Sie haben’s versucht, die Typen um Waits – Marc Ribot, Larry Taylor, Sohnemann Casey Waits. Haben erst Waits Badezimmer-Demos ganz normal nachgespielt, haben versucht, seine ausgestossenen Perkussionslaute (UH! HAH! UH! HAH! BUMMBUMM! HAK! AH!) mit normalem Schlaggerät hinzubekommen. Haben alles ausprobiert, im Studio, nachdem sie sich brav die Hände gewaschen haben, diese Dreckssaubermänner! Ging aber nicht, klang nicht, funktionierte nicht, rieb sich nicht, die Scheisse erreichte nicht den Ventilator, der Dreck verteilte sich nicht, die Wirkung war nur ein Furz.
Da hat Waits einfach die Demos genommen (UH! HAH! UH! HAH! BUMMBUMM! HAK! AAH! HU! YA!) und die Superdupermusikanten mussten primitive Drecksakkorde darauf verteilen. Ihre tollen Musikerfähigkeiten konnten sie sich sonstwo hinstecken. Wenn die Scheisse nicht zum Ventilator kommt, dann kommt halt der Ventilator zur Scheisse. Tom Waits musste sich erst 31 Jahre im Dreck und Bretterstaub zweifelhafter Etablissements und Theaterbühnen suhlen, bevor es ihm gelang, im eigenen Badezimmer seinen wertvollsten Schatz zu heben. Und wenn man dreckig ins Badezimmer geht und dort dann nur singt und klappert, schreit und nuschelt und klopft, dann geht man auch dreckig wieder raus.
Apropos dreckig: Den Menschen geht es nicht gut auf „Real Gone“, sie sind wirklich weg vom Fenster, verlassen, verraten, verstört, herumkommandiert. Waits versteht sie, er baut ihnen eine Heimstatt aus Schmutz, Holzsplittern und Metallspänen. Eine Heimstatt aus Rhythmus, denn der ist näher dran an Elend, ist direkteres Drama, und geht nicht den schnöseligen Umweg einer abmindernden Melodie, wie es vielleicht gut betuchte Bildungsbürger tun würden, weil sie zu viel zu verlieren haben, wenn es einfach mal Bumm-Tschak macht.
„Real Gone“ klingt wie der am weitesten fortgeschrittene Punkt einer Jahrhunderte währenden Evolution alter, primitiver Musik. Einer unglaublich virtuos entwickelten Primitivität, bei der man ständig die Abtastnadel prüft, ob sie zuviel Staub aufgefangen hat, um dann im nächsten Moment mit einem hässlichen Ratscher zum schwarzen Loch in der Mitte zu schlittern. Sie tut es aber nicht, die Nadel ist das einzige, was nicht beschmutzt ist, sie ist sauber wie ein Toilettenkasten.