„Their Satanic Majesties Request“ in der Track-by-Track-Mangel. Diesmal in der Superdeluxe-Version: Bewertung plus Vergleich der Versionen in stereo, original mono und fold-down mono. Mehr Verbraucherservice geht nicht!
Als Hauptfaden habe ich die Stereo-Version gewählt. Dessen Eindrücke habe ich noch einmal ergänzt um diejenigen der Mono-Ausgaben „Original Mono-Mix“ und „Fold-Down Mono“.
Vom Original Mono-Mix habe ich eine UK-Erstpressung, der Fold-Down ist ein spanisches Reissue von 1981. Meine Stereo-Version ist um 1976 herum gepresst (UK).
Das Soundbild des Original Mono-Mixes ist auf meinen Stereo-Kopfhörern etwas nach links verschoben, das heißt der rechte Kanal ist etwas leiser aufgenommen. Das sah man auch am Audiodiagramm, als ich die Platte digital überspielte. Die Fold-DownVersion dagegen ist total gleichmäßig auf beiden Kanälen abgebildet.
Also lasst uns böse sein all together. Die Bilder sind gekommen.
THE ROLLING STONES – Their Satanic Majesties Request (1967)
Bewertung: ***** (gut) – * (nicht gut)
A1. Sing This All Together ***
Mir gefällt, wie die Stones hier den ganzen Song über knapp und zielsicher neben den Harmonien spielen. Als hätten sie kurz vorher Ornette Coleman gehört. Ein windschiefes Sammelsurium unterschiedlicher Sounds und Instrumente, die für mich aber in ihrem geordneten Gewimmel alle irgendwie Sinn machen. Text ist Banane, aber egal.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Chorgesang ist voller im Sound. Watts gerader Bass Drum Beat ist präsenter, was dem Ganzen mehr Zusammenhalt gibt. Sowieso ist auf der ganzen Platte im Original Mono-Mix mehr Bass, mehr Schwere. Im Folddown geht das eher unter im Perkussionsgewimmel. Dafür kann man aber sowohl im Folddown als auch im Stereo-Mix Instrumente besser heraushören. Im Mono-Mix haben sie aber viel bessere Beziehungen zueinander.
Fazit: Sing This All Together bleibt bei ***. Aber der Original Mono-Mix ist die beste Wahl.
A2. Citadel ****
Das Silberhämmerchen nervt manchmal etwas mit seinem Plink. Andererseits finde ich es gut, dass die Stones damals noch mit Absicht so ein Nervgeräusch eingebaut haben, anstatt herkömmliche und ideenlose Rhythm’n’Blues-Verschränkungen zu spielen, wie später auf z.B. „Steel Wheels“. Toll das Break, wo der Sound aushallt und dann die Gitarre das Riff nicht von Anfang an spielt, sondern mittendrin einsetzt. Prima Idee. Sowieso ein guter Song, mit gutem Refrain und einem interessant arrangierten Psych-Chaos zum Ende hin.
„Fold-Down Mono“:
In der Stereo-Version ist Jaggers Gesang ziemlich an den rechten Rand gedrängt. Dadurch ist er im Fold-Down recht leise zu hören. Der Bass ist präsenter und knarrender als in der Stereo-Version.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Erstmal klingt der Folddown hier muskulöser als der OrigMono-Mix, auch Dank des knarrenden Basses, der im OrigMono-Mix eher etwas rummumpft. Das Silberhämmerchen ist besser im OrigMono-Mix eingebunden, weniger klirrend. Finde eigentlich alle drei Versionen sehr gut. Ich geb mal insgesamt einen halben Stern mehr:
Citadel **** plus 1/2
A3. In Another Land **
Anfangs schöner dynamischer Spinett-Einsatz (das muss man auch erstmal bringen, da Dynamik reinzubringen), bis plötzlich: Vollbremsung durch Bill Wyman, das singende Phlegma. Der Refrain, von allen gesungen, ist wieder gut und treibt schön, aber zwischendurch dann wieder leiert Wyman rum. Ich glaube, die Band spielt die ganze Zeit gegen ihn. Wirft in die dürftige Wyman’schen Song- und Gesangsdarbietung ein höhnisches „lalala“ ein und klebt am Ende noch eine Schnarcher-Aufnahme an. Das war’s meines Wissens mit Wyman-Songs auf Stones-Platten. Ich denke, die Welt hat nichts verpasst. Kurioserweise wurde der Song in den USA als Single ausgekoppelt. Muss gefloppt sein.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Der Original Mono-Mix hat viel mehr Atmosphäre, ist nicht so sauber, dafür lauter, dynamischer. Klare Verbesserung. Hier ist der Fold-Down die schwächste Version. Trotzdem muss man sagen, dass der Bass im Fold-Down insgesamt schön knackig abgebildet ist, aber eben nicht den Wumms und die Schwere von Original Mono hat.
Fazit: In Another Land ** plus *
A4. 2000 Man ***
Ganz hübsch. Gut und treibend ab da, wo alles anzieht („Oh, daddy, is your brain still flashing …“). Aber insgesamt ein wenig unvorteilhaft gealtert. Mehr fällt mir dazu im Moment nicht ein.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Die Gitarre, die zu Anfang die Melodie spielt, macht nach ca. 20 Sekunden am Ende einen kleinen Schlenker, der hier viel besser zu hören ist. Das allein reicht mir schon, den Original Mono.Mix zu bevorzugen. Überhaupt ist der Mono-Mix super. Viel mehr Wucht, das Keyboard bäst einen im Refrain (Oh Daddy …) förmlich um, dazu noch die Bass-Wand und die präsenten Gitarren. Da kommen weder Stereo noch Folddown mit. Klarer Zuschlag an den Original Mono-Mix!
2000 Man *** plus *
A5. Sing This All Together (See What Happens) *1/2
Sie haben es alle zusammen gesungen, aber wie ich heraushöre, ist dann doch nichts Erwähnenswertes passiert.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Im Stereo-Mix höre ich unförmiges bezugsloses Gedaddel. Im Fold-Down (den ich ein paar Tage eher kannte als den Original Mono-Mix) wurden mir plötzlich die Zusammenhänge klarer, aber es blieb ein Kopfspiel, eine kühle Analyse, ein Verdacht, dass da doch noch mehr drin stecken könnte, als mir die Stereo-Version immer vorgegaukelt hat. Im Original Mono-Mix ist „Sing This All Together (See What Happens)“ ein Biest, das knurrt, droht, schnüffelt, speichelt, grunzt und schnappt. Am Ende kumuliert es in einem überwältigenden Chaos, bei dem einem Angst und Bange werden kann. Es ist … es ist … böse geworden! Der Original Mono-Mix lässt die Teile einfach viel sinnvoller miteinander korrespondieren, betont die richtigen Stellen und hält andere dafür zurück, bis auch sie ihre Auftritte bekommen. Das ist so viel besser als Stereo oder Fold-Down, dass es mir ein bisschen die Sprache verschlägt. Nicht das wir uns falsch verstehen: „Sing This All Together (See What Happens)“ ist nach wie vor „Sing This All Together (See What Happens)“ und nicht plötzlich „A Day In The Life“ oder so, aber es wird für mich erstmals absolut zwingend in seiner ganzen faszinierend biestigen Bedrohung präsentiert. Das Ende, als Jagger nochmal den Titel gesanglich träge aufnimmt, hätte man sich vielleicht sparen können, aber egal. Für mich die größte Überraschung des Albums.
Sing This All Together (See What Happens) von *1/2 auf ****.
B1. She´s A Rainbow *****
Ganz starker Augenblick im Stones-Universum. Sowas wie ein überkandidelter Pop-Song, der auch sonisch einiges wagt, ohne die Rock- oder Rhythm’n’Blues-Schiene zu bemühen.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Insgesamt besser austariert als der Fold-Down, Gesang ist präsenter, der Folddown klingt insgesamt holpriger, die Bläser sind recht weit hinten im Mix, Percussion/Drums teilweise wie im Zufallsprinzip weiter vorne, aber irgendwie ein bisschen klöppelig. Bei Folddowns ist es halt immer mehr oder weniger Zufall, ob sie funktionieren oder nicht. Ich mag die Stereo-Version aber auch sehr und stelle sie neben den Original Mono-Mix.
B2. The Lantern **
Tolle erste Sekunden mit den Kirchenglocken und dem Arrangement aus Orgel und Akustik-Gitarre. Dann wird’s schwach, mit einer guten Stelle noch. Der ganze Quatsch mit der Laterne, die hochgehalten werden soll, ist spannungsfrei umgesetzt, runtergefahren auf ein Tempo purer Langeweile, die sich unter LSD womöglich für die Beteiligten wie Lichtgeschwindigkeit angefühlt haben mag. Ich schmeiß mir jetzt aber keinen Trip mehr ein, um mir das schönzubewusstseinserweitern. Der instrumentale Mittelteil mit den kosmischen Bläsern im Hintergrund und der sich wiederholenden Drum-Break-Figur von Watts ist gelungen, reißt hier aber den Gesamteindruck nicht mehr raus.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Am Anfang von „Lantern“ kann man erkennen, ob man den OrigMono-Mix vor sich hat: Er hat 3 Glockenschläge und nicht nur zwei wie Stereo/Folddown. Mal wieder wird ein Track um einiges dynamischer als die Stereo/FOld-Down-Versionen. Hopkins Klavier ist deutlicher eingebunden, überhaupt scheint hier wieder die größere Schwere des bassigen OrogMono-Mixes durch. Das tut dem Track natürlich gut. Original Mono ist eindeutig der Sieger. Ich erhöhe die Sternezahl von ** auf ***1/2.
B3. Gomper **
Bekanntlich war „Their Satanic Majesties Request“ ursprünglich als satirisches, gesellschaftskritisches Konzeptalbum angelegt, wurde aber so nur in Bruchstücken realisiert. Schatten (oder Fragmente) davon sind noch auf „Beggars Banquet“ und „Let It Bleed“ zu hören: Ich vermute, sowas wie „Jig-Saw Puzzle“, „Salt Of The Earth“ oder „Monkey Man“ haben ihren Ursprung in der Konzeptidee von „Their Satanic Majesties Request“. Was hat das Ganze mit „Gomper“ zu tun? Nun, das Positivste, das ich zu „Gomper“ sagen kann, ist, dass es womöglich verhindert hat, dass besagte Songs bereits für „Their Satanic Majesties Request“ aufbereitet wurden. Ihnen ist also eine womöglich halbgare, anpsychedelisierte Umsetzung erspart geblieben. Stattdessen wurden sie später zur vollen Blüte entwickelt, wie wir alle wissen.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“:
Im Prinzip gilt das Gleiche wie für „Sing This All Together (See What Happens)“: Besser aufeinander abgestimmt, bildhafter, dynamischer und nachvollziehbarer – aber insgesamt dann doch nicht ganz das Biest. Trotzdem eine Steigerung. Ich erhöhe die Sternenzahl von mittelmiesen ** auf böse ***1/2, spüre aber, dass es durchaus auch zu einem späteren Zeitpunkt noch mehr werden könnten.
B4. 2000 Light Years From Home *****
Ich werde noch an anderer Stelle auf die Sehnsuchtstrilogie „2000 Light Years From Home“/ „Moonlight Mile“/ „Heaven“ zu sprechen kommen. Das überbordende, gleichzeitig futuristische und archaische Mellotron wurde meines Wissens von den Stones mit diesem Song in die Rockgeschichte eingeführt bzw. mit derjenigen Bedeutung aufgeladen, die dann viele progressive Musiker aufgenommen und fortgeführt haben. Insofern haben die Stones auch einen Credit als Prog-Vorläufer verdient. Für mich einer ihrer perfektesten Songs, wie die anderen beiden der Trilogie auch. Eine traurige Sehnsucht liegt in ihnen verborgen, mit der die Band – oder Mick Jagger vielmehr – das Rockstar-Image transzendiert. Eine Bloßlegung, nicht als selbstzerstörerischer Akt, der für alle sichtbar ist, sondern als ein Angebot: Schau dahinter – wenn du möchtest.
„Fold-Down Mono“: Die thematisierte Räumlichkeit ist hier nicht so zu spüren wie im Stereo-Mix, weil die Instrumente sich näher stehen. Das nimmt dem Thema (Lichtjahre entfernt durch den Weltraum zu ziehen) ein bisschen die Dramatik und das „Endless Space“-Gefühl. Die Bass-Drum ist dafür mehr im Vordergrund und auch schön knackig, fast knochig. Ich ziehe die Stereo-Version aber dem FOld-Down vor. Sie ist weiter, eleganter und – einsamer.
„Original Mono Mix (UK, Decca)“:
Fühlt sich der Stereo-Mix an, als würde man von außerhalb auf die Szenerie schauen, mit einem Raumschiff und der großen Einsamkeit drumherum, findet man sich im Original Mono-Mix im Innern des Raumschiffs wieder. Man sitzt im Cockpit, spürt den Antrieb und die Maschine unterm Arsch. Die musikalischen Teile greifen so grandios geschmeidig ineinander, dass ich erst der festen Überzeugung gewesen war, der Track wäre schneller als in der Stereo/Fold-Down-Version. Ich habe es dann mit der Stoppuhr nachgeprüft: Stimmt nicht, alles gleich lang. Reines subjektives Empfinden, hervorgerufen durch den perfekt aufeinander abgestimmten, manchmal bassig verbrummelten Mix. Der Original Mono-Mix beschert mir dann auch den zweitschönsten Augenblick des gesamten Stones-Oevres: In Minute 2:05 gelingt der Übergang vom gesungenen „It’s so very lonely/ your 600 lightyears from home“ in ein instrumentales Interlude, das mit einer drohenden E-Gitarre beginnt und zwischendrin von spacigen Synthies untermalt wird, dermaßen geschmeidig, wie ich es so vollkommen in Stereo nicht herausgehöre. Ganz toll. Wie eben auch die Sekunden danach zwischen 2:05 min und 2:20 min. Möglicherweise höre aber nur ich das so grandios.
Fazit: Stereo- und Original Mono-Mix sind beide toll, nehmen für mich aber jeweils einfach unterschiedliche Perspektiven an. Der Fold-Down hat eine gut präsente, sehr knackige Bass-Drum, aber dagegen weder die thematisch gut passende Räumlichkeit vom Stereo-Mix noch die Tiefe und Unmittelbarkeit des Original Mono-Mixes. Letzterer beschert mir dann zusätzlich eben noch den einen Augenblick, den ich oben bereits beschrieben habe.
B5. On With The Show ****1/2
Was man erst nicht so heraushört: Der Song hat einen guten Groove und eine feine Gitarrenarbeit. Sicher nicht ganz so elegant wie später dann auf „Memo From Turner“, aber ein kleines bisschen ähnlich klingt es. Nicky Hopkins konnte man wahrscheinlich zu jeder Tages- und Nachtzeit ans Klavier setzen, weil er ohne weitere Instruktionen einfach immer etwas zu spielen imstande ist, was passt, verbindet, ergänzt, akzentuiert, aufhorchen lässt und verbessert. Das ging bis „Goats Head Soup“ so, aber ganz besonders auf „Satanic“, „Beggars“ und „Bleed“. Und auch auf „On With The Show“ klimpert er zielsicher gut und sinnhaft (sofern er es ist, der spielt; ich habe es nicht recherchiert). Überhaupt ein schöner Song mit Jaggers Blechmegaphonstimme, dem Mellotron und dem Geklingel und Gewusel, als wäre man in einer Kneipe am Rande des Universums, in der alle Gäste komischerweise so aussehen wie betrunkene Arbeitslose zu Zeiten der großen Depression in, äh, – London?
„Fold-Down Mono“: Jaggers Stimme ist präsenter.
„Original Mono-Mix (UK, Decca)“: Insgesamt dynamischer, lauter, plastischer. Der Fuzz-Bass ist präsenter, ebenfalls Hopkins Klavier, besonders zu Ende hin, gleichzeitig hat man mehr das Gefühl, das Klavier würde tatsächlich in einer Kneipe stehen.
Gesamtwertung:
Stereo: ***, mit kräftigen Ausschlägen nach unten und nach oben.
Fold-Down: ***1/2
Original Mono-Mix: ****, insgesamt klar besser als die anderen Versionen und für mich volle vier Sterne wert.
Fazit:
Der Original Mono-Mix ist lebendiger, schwerer und durchschlagender, auch eleganter als Fold-Down oder Stereo. Ich weiß nicht, warum sich Decca UK kurz nach Veröffentlichung entschied, den Original Mono-Mix gegen einen Fold-Down zu ersetzen (das Cover wurde beibehalten, es wurde einfach nur eine andere Pressung reingepackt, man kann die Versionen an der Nummer im Deadwax/Runout Groove unterscheiden – und natürlich an der Anzahl der Glockenschläge in „The Lantern“). Lag es an der leichten Verschiebung des Klangbilds nach links, wenn man den Original Mono-Mix auf einer Stereoanlage hört? Das kann es aber eigentlich nicht sein. Der Effekt ist relativ klein, einen Austausch würde er nach meiner Ansicht nicht rechtfertigen.
Ich habe übrigens nicht festgestellt, dass im Original Mono-Mix irgendwelche Instrumente fehlen oder hinzuaddiert wurden. Auch keine sonstigen Auffälligkeiten (wie es sie ja nicht selten bei den Mono/Stereo-Versionen der Beatles gibt). Mir scheint der Original Mono-Mix auf die gleichen Ressourcen zurückzugreifen wie Stereo/Fold-Down. Aber er ordnet eben anders, daher verschwinden auch mal Instrumente im Mix in den Hintergrund oder werden an anderer Stelle mehr hervorgehoben. Aber das Biest, auf das es ja ankommt, das Biest ist böser geworden!