colour green (vö 2006)
Die Geschichte hinter der Musik dürfte einigen bekannt sein: Nach getaner Arbeit, nachdem das Kind zu Bett gebracht, der Mann ins Bett gegangen ist, setzt sich Sibylle Baier an Tonband und Mikro und flüstert ihre selbstgeschriebenen Songs zur Akustikgitarre. Anfang der 1970er Jahre entstehen so 14 Songs. Veröffentlicht werden sie nie, nur als Cassette verteilt an ein paar Freunde und Verwandte. Jahrzehnte später entdeckt der Sohn die Bänder, stellt sie J. Mascis vor, der gibt sie weiter an ein befreundetes Label, welches sie 2006 veröffentlicht.
Wir hören sehr zarten Folk, Reflektionen übers Alltagsleben, über Liebe, Freunde, Wim Wenders (Sibylle Baier tritt kurz in dessen „Alice in den Städten“ auf). Sibylle Baier singt englisch mit deutschem Akzent, was ihr in englischsprachigen Reviews Vergleiche mit Nico eingebracht hat. Vielleicht, weil zarte, angedunkelte, nicht auf Mädchen machende Singstimmen überschaubaren Umfangs immer irgendwie für das ungeübte, fremdsprachige Ohr wie Nico klingen. Sibylle Baier singt aber leichter, selbst wenn es schwer wird in den Songs. Sie klingt dann manchmal wie eine selbstreflektierende Astrud Gilberto. Musik und Stimme und Texte bilden eine sehr spezielle Einheit, obwohl hier absolut nichts neu erfunden wird. Diese spezielle Einheit empfinde ich selten. Das Setting der Songs ist so intim, dass ich mich manchmal unwohl und deplatziert fühle, ihnen zuhören zu dürfen. Wie ein klobiges, fast schon übergriffiges Eindringen in die Privatsphäre wirkt es dann sogar, als auf dem letzten der 14 Stücke plötzlich ein kleines Streicherensemble untergemischt wird. Es erstaunt mich immer wieder, wie es möglich ist, mit so wenig Aufwand an Mitteln so viel zu bewegen.