WIRE:CHAIRS:MISSING
Im Prinzip ist das die erste Pink Floyd, unter völlig anderen Umständen entstanden, mit punksozialisierten Intellektuellen, recht drogenfrei, aufgeräumt und wütend. Damals verstand ich nicht, warum „Chairs Missing“ wie die anderen beiden Wire-Alben zuvor, auf „Harvest“ erschien, denn das stand für mich für verachtenswerte Prog-Kultur, für überwundenen Bombast und teuer klingende Großproduktion, wie sie bei Pink Floyd mit „Dark Side …“ begann.
Mit „Chairs Missing“ ist Punk schon 1978 erwachsen geworden. Das hat Wire damals manch einer übel genommen und sie als Künstlertypen beschimpft, die das Medium Rock mit mittelmäßiger Experimentalmusik überstrapazieren würden (warum auch immer Leute meinen, Künstlertypen per se beschimpfen zu müssen, während saufende und Frauen prügelnde Fußballprolls wie Paul Gascoigne oder Wayne Rooney verehrt werden). Aber eigentlich treten Wire schon 1977 mit „Pink Flag“, der erste LP, aus dem Schatten gängiger Pogo- und Rotzrhetorik heraus, mit der sich viele Punks ihren Spaß am Komasaufen als irgendwie bedeutungsvolles Anderssein schön rempeln. Bei Wire ist von Anfang an keine unkontrollierte adoleszente Energie am Wirken – obwohl „Pink Flag“ viele klassische Punk-Idiome in sich trägt: kurze Songs, keine Soli, Gitarre-Bass-Schlagzeug-Nichtgesang. Stattdessen gibt es Kontrolle, harte Schnitte, dead stops, Schreie und gleichzeitig abrupte Distanzierungen von ihnen – ein Ausbremsen von Elan und Sich-gehen-lassen. Ihr präzises Spiel kappt jeglichen jugendlichen Überschwang. Der Vorwurf an Wire, sie wären eine Intellektuellenband, liegt darin begründet, dass sich diese Band immer schon weigerte, Spaß zu haben. Noch nicht mal am Lärm oder an der Zerstörung. Der Fehler liegt jedoch schon darin begründet, überhaupt mit „Intellektuellenband“ einen Vorwurf formulieren zu wollen. Für mich zählen ihre ersten drei Platten, die sie in den Jahren 1977-79 aufnehmen, immer noch zu den beeindruckendsten und zwingendsten Arbeiten, die aus klassischer Punkmusik zu avancierterer („New Wave“-)Kunst geführt haben. Heute würde man Post-Punk dazu sagen. Aber nach meiner festen Überzeugung hat es diesen Begriff damals noch gar nicht gegeben (oder nur sehr sehr selten), auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen (bin aber immer offen für die Widerlegung meiner Behauptung – aber bitte nur mit Belegen aus zeitgenössischen Quellen!). Früher lief das unter New Wave. „Keine Beschränkung – alles ist möglich“.