2024-12-09

Blumfeld: Neue Sortimente

Blumfeld lösen sich auf. Ein Umstand, der selbst mich ein wenig traurig macht, auch wenn ich ihren Weg immer nur aus zweiter Hand verfolgt habe. Mir reichte ein alle ein bis zwei Jahre von Freunden und Blumfeld-Sympathisanten gehauchtes „Die neue Blumfeld ist ganz gut geworden“, oder „Die neue Blumfeld ist total furchtbarer Schlager“ oder „… sind selbst Country-Stücke drauf“ vollkommen aus. Ich hatte dann meine Dosis Blumfeld intus und konnte mich ganz auf die Rezensionen konzentrieren. Die Rezensionen zu Blumfelds Output scheinen mir nämlich oft interessanter zu sein als Blumfeld selbst. Eine Blumfeld-Kritik setzt den Verfasser anscheinend unter den enormen Druck, irgendwas ausholend Substanzielles schreiben zu müssen. An neuen Blumfeld-CDs muss der Zustand der Welt abzulesen sein, oder mindestens der Zustand von Blumfeld/Jochen Distelmeyer im Verhältnis zur Welt. Zieht sich „Jochen“ ins Private zurück? Ist es zynisch, wenn „Jochen“ singt „Die Welt ist schön“? Sind Zeilen wie „Ich steh im Bad und sehe rot/ die Spatzen pfeifen von den Dächer/ ich glaub der Hahn ist tot“ nicht total banal? Oder stellt „Jochen“ damit das Banale absichtlich aus, prangert die Beliebigkeit an, mit der in der Indie-Welt irgendwie „dringliche“ Lyrics nach dem Setzkastenprinzip aneinander gefügt werden? Oder verhält es sich ganz anders, nämlich im Sinne von (hier beliebigen postmodernen Philosophen einsetzen) … etc. Wenn dann eine Rezension alles auf einmal zusammendenken will und zusätzlich aus Angst noch zur Absicherung einen dreifachen Knoten um das Textgebilde versucht zu binden, dann kann es passieren, dass man zum Schluss den Sack nicht mehr zu bekommt, weil sich der Knoten in nichts auflöst, wenn man an der Schnur zieht. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die genial verkackte Rezension von Peter Abs in der SPEX zur letzten Blumfeld-CD „Verbotene Früchte“: „Es geht auch gegen Selbstbeschattung. So greifen auf den Songs Shanty (…), Lullaby (…) oder Bänkelballade (…), Unschuld und Erfahrung ineinander, gibt es mit Aufbruchs- oder Lebensreisemetaphern einen zugespitzen Schmerz-Glück-Dialog, der sehr zeitgemäß und sehr glitschig gegenüber dem Raster von pro- oder regressiv wirkt“. Ein bedeutungsvoller Satz, der es schafft, sich noch vor der Band aufzulösen. Sehr schön und sehr klug dagegen die Interpretation von Oliver Tepel in der SPEX zum „Apfelmann“ aus dem letzten Blumfeld-Album. „Der Apfelmann“ zählt im Songtext alte Apfelsorten auf. Diese und ähnliche Lyrikpassagen auf „Verbotene Früchte“ brachten Blumfeld den Vorwurf ein, sie würden sich damit ins Private zurückziehen, aus einer naturalistischen und naiven Perspektive schreiben (Subtext: sie würden sich ihrer Funktion als Diskursspielzeug für den Kulturjournalismus entziehen). Oliver Tepel jedoch sieht den „Apfelmann“ anders: „Er pflegt sorgsam jene Kreationen und Vielfältigkeiten, die er benennen kann. Deshalb muss er um sie wissen. ‚Artenvielfalt’ und ‚Detailwissen’ sind konstruktive Gegenargumente zu dem, was der globale Markt produziert.“ Differenzierung als Strategie gegen die Nutzenoptimierung und weltweite Gleichmacherei der Produkte. Leistet Widerstand! Bildet individuelle Merkmale aus! Es ist nur konsequent, dass Blumfeld diese Auffächerung noch weiter treiben und schließlich bei sich selber ankommen: Die Indiemusik-Sorte Blumfeld differenziert sich in weitere, für den Markt schwer kalkulierbare Sorten. Sie heißen nur nicht „Winterprinz“, „Gravensteiner“, „Elstar“ oder „Ontario“, sondern „Distelmeyer“, „Rattay“, „Precht“ oder „Albrecht“.
Link: Oliver Tepel über Blumfeld