2024-04-28

LÄRMPOLITIKs 100

Kürzlich wiederentdeckt: Lärmpolitiks all-time Top100.

Mit praktischen, mehr oder weniger aussagefähigen
und recht spontanen Kurzkommentaren. Es wäre nämlich höchst ungehörig, solche Platten einfach so loszuschicken, ohne ihnen einen netten Kommentar mit auf den Weg zu geben. Daher ist jetzt alles etwas lang
geworden. Ich bitte bei allen Alben, die ich vergessen oder spontan
wieder verworfen habe, um Entschuldigung. Aber morgen ist ja auch
noch ein Tag für eine neue Top100-Alben-Liste.

1 Upsetters – Return Of The Super Ape
Das
letzte Album, das Lee Perrys Black Ark zu deren aktiver Zeit noch
einigermaßen unbehelligt verlassen konnte. Danach entzündete sie
sich selbst. Ich hätte hier eigentlich “Scratch On The Wire”
genannt, eine Zusammenstellung von Tracks aus der Spätphase der
Black Ark. “Return Of The Super Ape” als ‘echtes’ Album
geht aber auch. Wichtig ist mir, an erster Stelle die Black Ark zu
sehen.

2 The Beatles – The Beatles
Das kreativ
umgesetzte Ende der Lebensform “Band” und der Anfang der
Lebensform “Individuum lässt sich von anderen Individuen
helfen, geht dann aber eigene Wege mit teilweise wieder ganz anderen
Individuen”. So wie im wirklichen Leben halt.

3 Neil
Young – On The Beach

Young am Boden und sich gerade wieder
aufraffend. Sowas wie die ruhigen, intensiven, schon wieder langsam
austeilenden Elegien auf Seite 2 hat er nie wieder hinbekommen. Und
bis auf den Herrn auf Platz 7 hat es auch nie wieder jemand
geschafft, Young darin das Wasser zu reichen.

4 Cpt.
Beefheart And His Magic Band – Trout Mask Replica

Das Moby
Dick der amerikanischen Musik.

5 Rufus Wainwright –
Poses

Ließ mich nach dem tollen Van-Dyke-Parks-getränkten
Debut erst kalt, traf mich dann wie ein Blitz.

6 John
Lennon / Plastic Ono Band – John Lennon / Plastic Ono Band

So
gut wie das Beste von den Beatles (die ich auf dem Album an keiner
Stelle vermisse – zumal Ringo sowieso mitspielt). Roh, offen,
reduziert.

7 Songs: Ohia – Didn’t It Rain
Ich
stellte mal irgendwann die Behauptung auf, dass es jedes Jahr ein
Album gibt, das die Stimmung von “On The Beach” einfängt,
man muss es nur finden. Totaler Blödsinn. Es gab in all den Jahren
nur ein einziges, das es wirklich tat. Jason Molinas Tod hat mich
getroffen.

8 Robert Wyatt – Rock Bottom
Kurz
nachdem er es für das Beste hielt, eine Party über den Balkon zu
verlassen. Schwebezustände und freie Ausbrüche, als wäre alles nur
ein Traum mit schlechtem Ausgang.

9 The Rolling Stones –
Some Girls

Ihre Beste, meiner bescheidenen Meinung nach.
Reflektionen über sich selbst und New York, mit Punk und Disco im
Hintern.

10 Sufjan Stevens – Illinoise
Versuchte
sich am großen Popmusik-Roman mit Geschichtsrecherche und
Jugendaufarbeitungsdrama – und scheiterte nicht. Dank Peanuts,
Heilsarmee-Trompeten und anderem uncoolen Kram.

11 Velvet
Underground – White Light/White Heat

Brachte Lärm in mein
Leben, der sich nie wieder verzog.

12 Pere Ubu – The
Modern Dance

Die Faszination von Industrieanlagen, klirrende
Gläser und ein paar Teenagerprobleme. Clevelands beste Surf-Band.

13 The Rolling Stones – Beggars Banquet
Eine
Burleske (oder Groteske?) in durchschlagendem, fast rein akustischen
Gewand.

14 Espers – II
Elektrisch verdröhnter
Neo-Psychedelik-Folk der allersorgfältigsten Art. Verbreitet in
seiner majestätischen Erhabenheit zu jeder Sekunde den Odem
jahrhundertealter Beständigkeit. Ich behaupte, sowas hat niemand
vorher oder nachher so perfekt hinbekommen.

15 Wire –
Chairs Missing

Prog-Punk.

16 Sunburned Hand Of The
Man – Headdress

Gab mir 2003 den Glauben an Rockmusik
zurück. Mit was? Mit lächerlichen 1-Wort-Parolen, weggetretenem
Frei-Rock, Kommunen-Bongos, sinnlosen LSD-Soli und Echobesäufnissen
in refrainfreien Zonen. Immer noch von mir verehrt.

17 PiL
– Metal Box

Verlagerte das herkömmliche Soundkonzept von
Gitarre-Bass-Drums-Gesang.

18 The Cocoon – While The
Recording Engineer Sleeps

Stellvertretend für alles, was
Jürgen Gleue je veröffentlicht hat. Ist aber innerhalb dessen auch
ganz weit oben. Frei-Form-Psychedelik, in der Gunter Hampels
Vibraphon flottiert.

19 Rufus Wainwright – Want
Two

Wainwright mit ganz großem Zirkus. Dieses Mal ging es
noch gut, danach verlor ich an seinen Angeboten das Interesse.

20
Bob Dylan – Modern Times
Mit Dylan habe ich es im Moment
nicht so. Aber Modern Times gab mir als erstes Album einen Schlüssel
zur Hand, mit dem ich einen Zugang öffen konnte. Danach rollte ich
das Dylan-Feld von hinten auf. Stelle ich die Top100 Liste während
eines Dylan-Rappels zusammen, hätten hier 3-5 Alben Platz.

21
The Beach Boys – Friends
Doch meine Liebste von ihnen.
Danach dann Smiley Smile und Surf’s Up, nein Surf’s Up und Smiley
Smile. Wechselt immer mal.

22 Dennis Wilson – Pacific Ocean
Blue

Die Beach Boys boten viel Gelegenheit zur Erschütterung,
aber “Pacific Ocean Blue” berührt mich von ihrem Output
insgesamt doch am tiefsten.

23 George Faith – To Be A
Lover

Zarteres hat die Black Ark nie verlassen.

24
Chrome – Half Machine Lip Moves
Two cool punk-infected
chicks listening to Can, Neu! und den Stooges, während im Fernseher
der Sci-Fi-Horror-Kanal mitläuft, Teil 2 (Teil 1 ist “Alien
Soundtracks”). Helios Creed erlebte als Jugendlicher ein
Jimi-Hendrix-Konzert. So hätte es tatsächlich mit Jimi weitergehen
können: Hässlich und deformiert.

25 Dälek –
Absence

Noise-Schreie mit kryptischen Rhymes. A blast.

26
Neil Young – Rust Never Sleeps
Best of both worlds
(Elektrisch, Folk).

27 John Cale – Fear
Zwischen
Wut, Romantik und Güte. Aber eigentlich immer gefährlich.

28
Caetano Veloso – Uns
Aus persönlichen Gründen
ausgewählt. Es gibt bessere von Veloso, aber diese war die erste LP,
die ich hörte, nachdem ich sie 3 Wochen in Portugal mit mir
rumgeschleppt hatte und morgens nach 2-tägiger Non-Stop-Rückfahrt
vorm Schlafengehen noch kurz durchhörte.

29 Bill Callahan
– Sometimes I Wish We Were An Eagle

Callahan ist wie Goethe.
Der reduzierte seine Gedichte zum Alter hin auch immer mehr.

30
Yes – Close To The Edge
Eine perfekt komponierte und
umgesetzte Ensemble-Platte. Möglicherweise eine provokante Aussage,
aber dies hier ist vollkommen ego-lose Musik.

31 Paul
Metzger – Gedanken Splitter

Metzger aus Minneapolis ist mein
Mann am experimentellen Banjo. Das er übrigens 23-saitig spielt,
ähnlich wie eine Barocklaute. “Gedanken Splitter” ist eine
teilweise überwältigend aggressive Platte. Besonders auf – nomes
est omen – “Zugentgleisung”. Weniger aggressiv, dafür mehr
raga-esk ist das Album “Deliverance”, das ich hier
ebenfalls sehr empfehlen kann. Man sollte jedoch in beiden Fällen
sehr lange Banjo-Improvisationen mögen.

32 Isis –
Oceanic

Wahrhaftig ozeanisches Metal-Epos, unterbrochen von
ruhigen Post-Rock-Passagen. Erhaben wie eine Taucherkugel, die sich
von der Kette gelöst hat und im Licht von Laternenfischen langsam zu
Boden singt. Unten wartet dann das Beben. Man sollte Metal-Grunzen
mögen.

33 Hüsker Dü – Flip Your Wig
Die Byrds
mit Hardcore-Vergangenheit und ähnlich hohem Streitpotenzial

34
It’s Immaterial – Song
Nach ihrem super-charmanten und
auch augenzwinkerndem Intellektuellen-Pop auf “Life’s Hard And
Then You Die” ist “Song” schwere, traurig
konstatierende Kost, die sich konsequent weigert, auch nur
ansatzweise einen Hit abzuwerfen. Stattdessen Erzählungen über
Arbeitslosigkeit und andere resignierende Lebenskämpfe, oder milde
Betrachtungen des ordinary life. Die Musik ist eine
sorgfältige Begleitung und Verstärkung der Worte. Oft Synthies und
Perkussion. Man muss mein Faible dafür sicher nicht teilen. Ich
glaube, diese Band ist ein bisschen das für mich, was für andere
Talk Talk ist.

35 The Modern Lovers – The Modern
Lovers

Als die Modern Lovers noch die Velvets beerbten. Mit
Krach, Repetition, schneidender Orgel, Beleidigungen an einen
bildenden Künstler und einer bewegenden Geschichte über einen
Krankenhausaufenthalt.

36 King Tubby – Harry Mudie Meet
King Tubby’s in Dub Conference Volume One

Tubby macht hier die
bisweilen flöten- und streicherbewehrten Tracks von
Reggae-Pop-Produzent Harry Mudie nackig. Locker eine der besten
Dub-Konferenzen der Reggae-Geschichte. Volume Two ist genauso gut.
Volume Three fällt dagegen ab.

37 Al Green – Call Me
In
den 80ern bei WOM für 5 Mark erstanden, traf’s mich wie der Blitz.

38 Brian Eno – Another Green World
Noch Song, schon
davon abstrahiert. Die Platte eines unerkannt bleiben wollenden
Königs, der in einer untermöblierten Bauhaus-Bude wohnt.

39
Ann Peebles – Part Time Love
Selbstbewusstsein ohne dick
aufzutragen. Die Peebles ist mir die liebste Soul-Sängerin. Und
Hi-Records hatten den besten Sound dazu. Platte ist mit vielleicht 27
Minuten nicht zu lang.

40 Tim Buckley – Happy Sad
Jede
Platte ein eigenes Genre innerhalb des Über-Genres namens “Tim
Buckley”. Total eigen. “Lorca” ist unbegreiflicher als
“Happy Sad”, aber ich kann mich nicht dagegen wehren, wie
Buckley das “feelin“ in “I’ve got a strange, strange
feelin'” singt. Daher fällt meine Wahl auf „Happy Sad“.
Einer der ganz ganz Großen in der Musik überhaupt. Verschätzte
sich nach Tour-Ende in den 70ern nach längerer Heroin-Abstinenz mit
der Dosis.

41 Keiji Haino, Jim O’Rourke, Oren Ambarchi –
Imikuzushi

Ich benötige von Zeit zu Zeit Platten, die mich so
fordern und verwirren, wie ich mir vorstelle, wie andere Rockplatten
zu ihren Zeiten das unvorbereitete Publikum gefordert und verwirrt
haben. Es dürfen daher keine Platten sein, deren Aufbauten zu
vertraut sind. Sie müssen unberechenbar sein und überrumpeln. Bis
man sie sich wieder vertraut gehört hat. Dann müssen wieder neue
Alben diesen Part übernehmen. Vor 11 Jahren hatte diesen Part
“Headdress” übernommen. Vor zwei Jahren war es
“Imikuzushi”.

42 Prince Far-I & The Arabs –
Cry Tuff Dub Encounter Chapter III

Prince Far-I’s Donnerstimme
und ausgewählte Cry-Tuff-Tracks in der Sherwoodschen Dub-Wäscherei
in die Mangel genommen. Jede Sekunde wert.

43 The
Thirteenth Floor Elevators – The Psychedelic Sounds Of The …

Der
heulende texanische Wahnsinn, der erstmals den “Psychedelic”-Begriff
trug. Zu recht.

44 Judee Sill – Judee Sill
Wieder
so ein Riesensongschreibertalent mit den schönsten denkbaren
Melodien, das zu früh starb. Und wieder an Heroin.

45
Scientist – Scientist Wins The World Cup
Die
Scientist-Serie mit den Comic-Cover auf dem Reggae-Label Greensleeves
bildete einen tiefen Sample-Pool für spätere Neo-Dubber wie Unitone
HiFi oder die Crooklyn/WordSound Posse. Hier mein liebstes der
Dub-“Originale” von Scientist. Metallischer und klarer als
der zischelnde King Tubby (der aber an anderer Stelle in dieser Liste
gewürdigt wird)

46 Curtis Mayfield –
Superfly

Groove-und soundmäßig immer noch erste Sahne. Meine
liebste von Mayfield.

47 PJ Harvey – To Bring You My
Love

Die glamouröse Vamp-Inszenierung. Vielleicht gefällt
mir “White Chalk” doch noch besser. Ich kenne sowieso
nichts Schlechtes von ihr. Seit über 20 Jahren around, und hat
mittlerweile mehr große Songs geschrieben als die Stones. Und ist
immer noch auf kreativem Top-Niveau.

48 Can – Tago
Mago

Insgesamt in den meisten Parts, den schwierigen und den
groovigen, immer noch ziemlich toll. Ich kann vor dieser geballten
Ansammlung an Power und Inspiration nur den Hut ziehen und weiß
gerade keine Worte dafür.

49 The Fall – This Nation’s
Saving Grace

Mit schöner Hommage an Can und Damo Suzuki
(siehe Nr. 48). Für The Fall sollte man eine eigene Top 10 machen.
So glamourös klangen The Fall jedoch nie wieder. Glamour ist aber
auch nicht das alles entscheidende Kriterium auf Fall-Platten. Mark
E. Smith hat vielleicht die lustigste Autobiografie der Musik-Welt
geschrieben.

50 Portishead – Dummy
Mit Portishead
kam gewaltige Verlangsamung in die Indie-Welt. Eine der prägendsten
Platte der 1990er. Etwas überhört, ziehe ich aktuell “Third”
meist vor

51 Congos – Heart Of The Congos
Vielleicht
der Punkt, an dem die Black Ark am vollkommensten klang und der
Wahnsinn noch einigermaßen im Zaum gehalten wurde

52 Young
Marble Giants – Colossal Youth

Ich bin allem verfallen, was
hier spielt. Eine damals völlig neue, karge Sounderfindung. Ich bin
sowieso Fan der Rhythmus-Box.

53 Slits – Cut
Schlitze.
Schnipp! Mit federndem Reggae, Off-Beat-Gesang und selbsterfundenen
punky Jingle-Gitarren. Ein feministisches Album, dessen Cover der
Feminismus erstmal verdauen musste

54 Cpt. Beefheart And
The Magic Band – Doc At The Radar Station

Der Kapitän haute
allen auf die Finger, die heimlich versuchten, seinem Sound auch nur
den leichtesten Hauch von Hall unterzujubeln. Ansonsten regiert hier
die Wut und das konstruierte Chaos, etwas demokratischer umgesetzt.
Daher das „The“ vor der Magic Band statt dem vormaligen „His“.

55 Jan Jelinek Avec The Exposures – La Nouvelle
Pouvreté

Ich glaube, es geht um Model-Welten. Der
Jelinek-Groove ist so speziell wie derjenige von Can oder Neu!, er
ist aber schwieriger zu fassen, weil alle Parts und Bits und Pieces
an ihm in magischer Weise teilhaben

56 Dr. Alimantado –
Best Dressed Chicken In Town

Dr. Alimantado, von John Lydon in
seiner berühmten Radio-Playlist den Punks vorgestellt, mit einem
Querschnitt seiner DJ-Arbeiten aus den Siebzigern. Der Titeltrack
(gelegt in der Black Ark) übertrifft alles, aber der Rest ist
trotzdem auf so hohem Niveau, dass noch Platz 56 herausspringt. Darf
in keiner Musik-Sammlung fehlen, die über Bob-Marley-Folklore
hinausgeht, werfe ich mal etwas besserwisserisch in die Runde.

57
Cpt. Beefheart And His Magic Band – Lick My Decals Off, Baby
Der
Käptn mit übriggebliebenen Arbeitsgrundlagen von “Trout Mask”
und der genialen Idee, die zweite Gitarre durch ein Marimbaphon zu
ersetzen.

58 Gene Clark – No Other
Teure, schwer
schwelgende Laurel-Canyon-Koks-Platte, die kommerziell völlig
unterging.

59 St Vincent – Strange Mercy
Beerbt
Robert Fripp und Madonna gleichzeitig. Eine der kreativsten
MusikerInnen der letzten Jahre.

60 Television – Marquee
Moon

Jazz.

61 Stevie Wonder – Songs In The Key Of
Life

Übervoller und vielleicht perfektester Songreigen aller
Zeiten.

62 Comus – First Utterance
Brutaler
Violinen-und Flöten-Folk.

63 Neu! – Neu!
Der
Groove des Horizonts ohne amerikanische Einflüsse.

64 This
Heat – This Heat

Macht einsam und Fieber und bringt mich immer
in ziemlich angespannte Zustände. Ich rechne selbst nach Jahrzehnten
des Hörens noch mit Überraschungen.

65 Timesbold – Ill
Seen Ill Sung

Folk mit Ofenrohr und Bruchstellen. Klingt wie
aus Gegenden ohne Ortsschilder, ist aber aus Brooklyn.

66
Roddy Frame – Western Skies
Große Songs in kleinem Gewand,
besser noch als die erste Aztec Camera.

67 The Go-Betweens
– Send Me A Lullaby

Scheint mir ihr perfekter Augenblick zu
sein.

68 Giant Sand – Ballad Of A Thin Line Man
Noch
ohne Zerfaserungen eine der konzentriertesten Giant-Sand-Platten. Und
die erste, die ich kennenlernte. Eine Platte wie eine große
Erzählung aus einem Amerika fern der Küste.

69 Giant
Sand – The Love Songs

“Sticky Fingers” ist Howe
Gelbs Lieblingsalbum, las ich mal irgendwo. “The Love Songs”
ist unterm Strich das bessere Album und zusammen mit “Thin Line
Man” mein liebstes von ihm. Ich hege eine Art Hass-Liebe zu den
Stones, man möge mir daher den ein oder anderen Seitenhieb
verzeihen.

70 The Seeds – Raw & Alive / Merlin’s Music
Box

Fake-Live-Album mit untergemischtem Teenager-Gekreische.
Eat-yer-ya-ya’s out!

71 Magnolia Electric Co. – Magnolia
Electric Co.

Jason Molina ging nach Songs: Ohia mit großem
elektrischen Bahnhof seinen Weg, der dem der Crazy Horse nicht
unähnlich war. Ein ganz Großer (gewesen). Rest In Peace.

72
The Baptist Generals – No Silver/No Gold
LoFi, bis das
Telefon klingelt.

73 The Byrds – Younger Than
Yesterday

Die freundliche Seite der Psychedelik wird mit recht
außerweltlichen Melodien gefeiert.

74 Keith Hudson –
Playing It Cool & Playing It Right

Ziehe ich seinem
allgemein und zurecht als Überwerk gesehenen “Flesh Of My Skin
Blood Of My Blood” vor, eben ein Über-Über-Werk wahrhaftiger
Reggae-Psychedelik. WVÖ vor einigen Jahren auf Basic Replay.
Teilweise die selben Nummern wie auf „Flesh ..“, aber andere
Versionen.

75 The Thirteenth Floor Elevators – Easter
Everywhere

Der Zweitling der Elevators. Genauso gut wie das
Debut, nur ganz anders. Fetter Proto-Hardrock statt Psycho-Gekreisel.

76 Steffen Basho-Junghans – Waters In Azure
“One”
ist Pulsieren mit einem Finger auf einer Saite gespielt (und ohne
Spielhand!). Alles andere als ein netter Gag. Der experimentellste
Stahlsaiten-Gitarrist kommt aus dem Harz.

77 Kammerflimmer
Kollektief – Cicadidae

Nachts des Sommers, wenn Temperaturen
sich schwer auf Körper legen.

78 Tuxedomoon –
Half-Mute

Zersetzungen im Kreise von Synthie, Beat-Box, Sax,
Violine, Tapes, Bass, James Whale und anderen Gothik-ismen.

79
Antonio Carlos Jobim – A Certain Mr. Jobim
Jobim und
Ogerman sind das Traumteam edel gelackter Bossa-Delik.

80
Brethren Of The Free Spirit – The Wolf Also Shall Dwell With The
Lamb

Laute (Jozef Van Wissem) und Gitarre (James Blackshaw).
Erlöst uns nicht von dem Bösen, hat aber ein Herz für religiöse
Splittergruppen früherer Jahrhunderte. Von Blackshaw könnte man
einige seiner Solo-Alben hier nennen. Ich lass es aber mal bei
Brethren.

81 Tom Waits – Real Gone
Stinkendes
Drecksalbum. Für mich sein bestes.

82 Spacemen 3 – The
Perfect Prescription

Eine dunkle, überraschend unlärmige
Reise in die Verherrlichung nicht empfehlenswerter Drogen.

83
Jeffrey Lee Pierce – Wildweed
Konzentrierter als der Gun
Club, bei nicht geringerer Leidenschaft.

84 Fleetwood Mac
– Rumours

Beziehungszerstörung und -findung und -zerstörung
und -findung auf Koks und zigfach-Platin.

85 Neneh Cherry
& The Thing – The Cherry Thing

Machte mich mit der Energie
von Mats Gustafsson bekannt.

86 A.More (Anthony Moore) –
Flying Doesn’t Help

Angriff der Avantgarde auf den Mainstream
– mit manisch-bitterer Pathoswucht und übriggebliebener Studio-Zeit
von Manfred Manns “You Angel You”. Hat sich Null verkauft
(also Manfred Mann natürlich schon).

87 The Books –
Thought For Food

Ihr Völker der Welt, schaut auf diese
Samples der Welt (und glaubt mir, es ist Folk).

88 Wechsel
Garland – Liberation Von History

Wir bauen uns einen Kontext
aus Dub, Folk und Kölner Elektronik.

89 Tony Joe White –
… Continued

Von Billy Swan (“I Can Help”) warm und
rund produzierte reine Southern-Country-Soul-Magie.

90 Jesse
Sykes & The Sweet Hereafter – Reckless Burning

Sehnender
Americanoir, der gerne an fremden Orten mit dunklen Himmeln landet,
den ein oder anderen Schmerz im Gepäck.

91 Miles Davis –
Get Up With It

Meine liebste von Miles Davis. Mag ich etwa den
Orgelspieler Miles Davis lieber als den Trompetenspieler?

92
The Cruel Sea – Three Legged Dog
Die Beasts Of Bourbon
mögen den grimmigeren Blues gespielt haben, aber die Mischung aus
Surf, Dub, Rock und lustigen selbstironischen Geschichten gibt den
Ausschlag für The Cruel Sea.

93 Colleen – Everyone Alive
Wants Answers

Verknurspelt Spieluhren-Loops, Babygebrabbel,
Streichersamples, Akustikgitarren aus fernen Jahrhunderten durchs
Telefon in konkrete Unheimlichkeiten.

94 MC 900 Ft Jesus –
Welcome To My Dream

Wieder so ein nachtverdunkelter HipHop,
der in die ein oder andere gekrümmte Seele blickt. Durchaus mit
einigem Humor.

95 Annette Peacock – I’m The One
Warum
sich besonders Frauen als Pioniere der elektronischen Musik
hervorgetan haben, müsste auch mal untersucht werden. Die
erstaunliche Annette Peacock legt hier ihr Leben bloß und schreckt
auch nicht vor physischen Inneneindrücken zurück.

96 Ikara
Colt – Chat And Business

Spielten zwei Platten ein, legten
vorher schon quasi das Datum fest, wann sie sich auflösten wollten
und lösten ihr Business dann wie vereinbart pünktlich auf. Wurden
danach nie wieder gesehen. Ich tausche alles von The Who gegen ihren
modernen Mod-Krach ein.

97 Saint Vitus – Born Too Late
Die
Epigonen sind oft besser als die Originale. So auch diese
Sabbath-Wiedergänger, die lähmende Metal-Tracks auf SST
veröffentlichten. Der Doom im Metal fand hier seinen Anfang.

98
Pyrolator – Ausland
New York, ein heißer Sommer und der
Spielzeugbaukasten von Der Plan. Kurt Dahlke hat eine der
unterhaltsamsten elektrotropikalischen Platten diesseits des Rheins
aufgenommen.

99 Alexander Spence – Oar
Nach
Monaten in der Psychiatrie im Alleingang in Nashville aufgenommenes
Werk von erschütternder Verletztlichkeit.

100 David Bowie
– Hunky Dory

Berlin-Phase hin oder her, ich mag den etwas
überkandidelten, selbstironischen Bowie besonders auf Hunky Dory
sehr gerne. Traumhaftes Songgespür allerorten. Und Rick Wakeman ist
einfach ein toller Musiker, wenn man ihn im Zaum hält. Voll süß
auch, wie Wakeman in dieser Bowie-Doku letztens im TV schwärmte. Aus
der Erinnerung: „Also wie Bowie da den Akkord –zack- der
eigentlich gar nicht passt, aber den er da hinhaben wollte, und dann
klingt das … Moment … ich versuch’s mal eben zu spielen, habe
ich seit damals nicht … so, jetzt … (Wakeman spielt eine Passage
von „Life On Mars“ auf Anhieb perfekt auf dem Klavier), … also
das ist absolut super und typisch David. Muss ich zuhause sofort
nochmal nachspielen!“

4 Gedanken zu “LÄRMPOLITIKs 100

  1. Tolle Liste! Gute Mischung aus Platten, die ich selbst seit Jahren sehr schätze und Platten die anscheinend viel zu schnell in meinem Plattenschrank verschwunden sind (z.B. die zweite Espers, die zumindest auf den ersten Blick etwas sehr süßliche Judee Sill). Noch besser die Platten, die völlig an mir vorbeigegangen sind (It's Immaterial, Ikara Colt) und mittlerweile schon auf dem Weg zu mir sind. Kleiner Schönheitsfehler, du hast die Nr. 4 mit der Nr. 1 verwechselt und mit Yes meintest Du wahrscheinlich eine der ersten drei Soft Machine Sachen..Ist wahrscheinlich das Alter, passiert mir auch schonmal. Gruß
    Ornette

  2. Genau: tolle Liste! Und die erste Liste, die Harry Mudie meets King Tubby in Dub I drinhat. So wie bei mir.

  3. klasse! die kommentare komplettieren eine auch so schon spannende lektüre. es gibt einiges zu entdecken!

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