VÖ 27.11.2009
Uiih, sind die schnell geworden! – schoss es mir in den Kopf, als ich „Accident Book“ zum ersten Mal anspielte, und kundige Hörer von Savoy Grand wissen, dass sich das Verhältnis von schnell und langsam anders darstellt, wenn man sich auf diese Band erstmal eingelassen hat. Denn ihre Musik und ihre Gedanken kreisen den zu besingenden Gegenstand so langsam ein, dass man versucht ist, aus lauter Ungeduld die Musik selber weiter zu denken, bevor es die Band tut.
Seit ein paar Jahren nun schon stellt sich mir die Frage, warum Savoy Grand eine nicht geringe Anziehungskraft auf mich ausübt. Ich kaufe mir stetig ihre Alben, obwohl ich sie selten höre. Höre ich sie doch einmal, kann ich sie nicht voneinander unterscheiden. Ich höre vereinzelte Klänge auf Gitarre und Bass, ab und an bespelzt von einem Keyboard, noch seltener von tiefkörpernden Trommeln vorsichtig begroovt, und ganz ganz selten taucht ein Waldhorn auf und zieht eine somnambule Szenerie in etwas hinein, das ich sowenig zu fassen bekomme wie die unscharfen Cover ihrer Platten (nur einmal gelang es mir, darauf ein altes Möbelstück zu identifizieren). Ich höre die Stimme eines Mannes, die nie durch andere Stimmen unterstützt wird. Immer ist sie auf sich alleine gestellt. Ihr Echo fällt durch die Musik hindurch, wie eine Sardine durch ein Schleppnetz. Aber trotzdem sie traurig und verlustreich klingt, scheint sie doch eine zeitliche Entfernung zum Geschehen entwickelt zu haben – oder bin ich es einfach nur, der diese Entfernung fühlt, weil mir Savoy Grand unmittelbar nicht greifbar erscheint?
Es ist nämlich so, als existiere die gesamte Präsentation der Band – Musik, Texte, Cover, Aussehen, Herkunft, Veröffentlichungsrhythmus- in einem anderen Realitätstunnel, und ich würde nur lückenhaft mit diesem Tunnel Kontakt aufnehmen können. Ich weiß bis heute nicht, wie die Typen überhaupt aussehen. Meine Vorstellung sagt mir: Sie sehen aus wie felt in den 80ern aussah, würde man ein halbes Leben auf dem Land hinzuaddieren. Wo kommen sie her? Sind sie Schotten, Engländer, Waliser, Iren? Keine Ahnung. Irgendwo von der Insel müssen sie kommen.
Noch eine merkwürdige Sache, die ich unmittelbar mit dem Bandschaffen selbst erkläre: Ich habe alle ihre CDs per Post bekommen. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, sie in einem Plattenladen zu kaufen. Ich glaube, das hätte mir den Warencharakter der Musik zu nahe gebracht. Bei Savoy Grand-Alben muss der Zusammenhang von Geldverkehr und Warenausgabe so weit wie möglich ausgeblendet werden. Ich muss möglichst vergessen haben, dass ich das Album bestellt und bezahlt habe. Es muss eines Tages einfach erscheinen.
So erschien dann auch vor ein paar Tagen „Accident Book“ bei mir – als Promo-Exemplar. Ich musste also noch nicht mal ausblenden, dass sich das Album in Form einer bezahlten Ware materialisierte. Es war wirklich plötzlich einfach nur da! Ich kann diesmal auf dem Cover auf Anhieb etwas erkennen (Schweine und Steine), und ich habe mich anfangs von relativer Geschwindigkeitszunahme überrumpeln lassen. Die Frage ist ja, ob die ausgesucht Platz findenden Songgebilde von Savoy Grand nicht gerade dann zusammenbrechen, wenn sie auf solide Füße gestellt werden. Verletzt zuviel Rhythmus nicht die Intimsphäre, unter der ihre Liedgebilde erst so richtig in voller und bescheidener Pracht gedeihen?
Um die Musik bei ihren Intimitäten so wenig wie möglich zu stören, habe ich mich jedenfalls – wie immer eigentlich – dezent zurückgezogen und „Accident Book“ aus der Entfernung gehört, während ich mich taktvoll anderen, ablenkenden Tätigkeiten widmete. Was von Weitem an mein Ohr drang, gefiel mir allerdings so gut, dass ich im zweiten Teil der Savoy Grand-Geschichte jegliche Höflichkeit fahren lasse und mich rücksichtslos an die einzelnen Tracks ranschmeiße. Aus der Entfernung in die Nähe, sozusagen. Zerstört der furchtlose (und manchmal recht ungeschickte) Audioforscher damit das zu beobachtende Objekt? Wird ihm dieser Blick von Nahem zum Verhängnis werden? Wird das Verhältnis von Prof. aud. phil. Ahrensfeld zu Savoy Grand danach unrettbar zerrüttet sein? Sehen Sie die Fortsetzung jetzt in diesem Kino.