2024-04-24

Hair Police: Abrasion und Materialermüdung

‚Do exactly as you’re told and nothing will happen to you’, lässt Raymond Pettibon 1985 einen mit Gewehr bewaffneten Cop sagen, und dem so Angesprochenen wird in jenem Moment bewusst sein, dass seine Wahlmöglichkeiten höchst beschränkt sind, will er aus der Sache halbwegs lebendig wieder raus kommen. Den Anweisungen der Ordnungshüter von Hair Police sollte man ebenfalls unbedingt Folge leisten, sonst würden sie wahrscheinlich einen ganz ähnlichen kranky Noise aus einem herausprügeln, wie sie es sonst nur aus ihren bis zur Unkenntlichkeit verbrummten Gitarren und Oszillatoren zu tun pflegen. Damit möchte ich sanft die heutige Kolumne „Benommen zu Zeiten“ einleiten, die sich unterschwellig mit Themen befasst wie denjenigen, ob Lokalanästhesie Kreativitätsblockaden lösen kann oder ob ein Track zwangsläufig schlecht sein muss, nur weil man ihn nie wieder hören möchte. Es kommt immer wieder einer kleinen Enttäuschung gleich, wenn gewaltige und faszinierend ungenießbare Musik nicht von Blut trinkenden Barbaren mit schusssicheren Lederjacken und Locken aus aschgrauem Fiberglas stammt, sondern von freundlichen, langhaarigen, etwas schlabbrigen Collegetypen aus – wie in diesem Fall – Lexington, Kentucky, die sich auf ihrer Website artig für die Unterstützung während der letzen Tour bedanken und auch ansonsten den Eindruck von umgänglichen, im Waschcenter brav auf ihre Wäsche wartenden Heranwachsenden machen. DIE machen so’ne Musik??? Wie von so vielen anderen im Grenzbereich von Psychedelik, Drone und Improvisation operierenden Kollektiven vom Schlage Black Dice, Sunburned Hand Of The Man oder Animal Collective wird auch von der seit 2001 auf Streife fahrenden Hair Police jeder Ton gesammelt und gewissenhaft in Untersuchungshaft genommen, um daraus dann innerhalb von sechs Jahren gefühlte 37 Platten zu veröffentlichen oder als selbstgebrannte CD-Rs an Wehrlose und Bedürftige zu verschenken. So gelangten denn auch zwei Tonträger zur Bewährung in meine Hände, nämlich „Obedience Cuts“ (2004) und „Drawn Dead“ (2005). „Drawn Dead“ besteht aus vier längeren, unterschiedlich stark verzerrten Gitarren-Abrasionen und weiteren untergeordneten elektronischen Abrieben, die dort beginnen, wo keine Namen mehr existieren, und für die das Wort “Distortion” zu lieblich klänge. Ständig brechen scharfkantige Partikel aus dunklen Oberflächen, und ehe man versucht, sich einen Weg durch das Geröll aus abrupt verändernden Feedback-Noises zu bahnen, zerbröselt der Krach ins Nichts – um sich sodann im nächsten Track als Kriegsszenario wieder neu zu erfinden. Ich kann aber beruhigen: Die vereinzelten Schreie sind elektronisch generiert; soweit mir bekannt ist niemand bei den Aufnahmen zu Schaden gekommen. Ebenso wenig wie vermutlich auch bei „Obedience Cuts“ von 2004. Die Stücke sind hier kürzer und, ähm, abwechslungsreicher. Es findet sich mit dem Titeltrack sogar ein kontemplativer Ruhepol, der zum größten Teil aus unregelmäßig geschlagenen Glockentönen besteht (die natürlich die Ruhe schon wieder zu untergraben verstehen). Dafür gehen die Splattersounds noch markerschütternder zur Sache und haben auch entsprechende Namen wie „Open Body“, „Boneless“, „Full of Guts“ oder „Skull Mold“. Mein Favorit bleibt aber obige „Drawn Dead“, gerade weil sie auf Abwechslung keinen Wert legt und sich konsequent solange schmirgelt, bis sie aufgrund von Materialschwund aufhört zu existieren. Schon seit einigen Tagen trage ich mich mit diesem Text herum, ohne jedoch etwas Nennenswertes zustande gebracht zu haben. Jetzt, unter dem Eindruck einer frischen Parodontose-Behandlung und noch vollständiger, mich sabbern machender Rundumbetäubung des Mundraums, geht der Text dann plötzlich sehr glatt von der Hand. Daher mein Tipp: Hair Police besorgen und Heil- und Kostenplan für eine PA-Behandlung bei der Krankenkasse beantragen.
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