2024-04-26

Jimmy Miller: Wer machte den Break? – Eine Beweisaufnahme

Angeregt durch meine sehr sporadische „The Wire“-Lektüre möchte ich das Ohrenmerk gerne einmal von Langspielplatten weg lenken, weil über kurz oder lang die Langspielplatte (CD, LP, whatever) sowieso bald ausgedient haben wird (oder zumindest in eine staubige Nische verschwindet, wo man mich dann sabbernd Unzusammenhängendes brabbeln wird hören können). Stattdessen werden kleinere Einteilungen die Oberhand gewinnen. Ja, sie haben es in vielen Bereichen eigentlich längst schon getan: Die Welt wimmelt von James-Brown-Samples oder anderen Drum-Loops aus in trockenen Kellern in Berkeley, California, ausgegrabenen Funk-Singles. Der Kölner Jan Jelinek perfektioniert seit Jahren schon die Kunst, Samples innerhalb eines selbstgewählten Kontextes (Kraut, Wave, Jazz, Fauna) zu wählen und sie in so kleine Einheiten aufzuspalten, dass sie nur noch als Reflektionsflächen dienen, die den Urspungskontext in völlig neuen Farben spiegeln. Eine Art unkonkretes und nur emotional erfassbares Sampling entsteht bei ihm. Um die völlige Atomisierung des Samples durch Jan Jelinek (oder besser Molekülisierung, denn der Ursprung schwingt ja – rational nicht fassbar – bei seinen Tracks immer noch mit) soll es aber diesmal gar nicht gehen. Es geht um ein im konservativen Sinn noch intaktes, nämlich absolut erkenntlich im Kontext verhaftetes, stinknormales Break.
Ich spreche von einer bestimmten Sorte Break, einer dramatisierenden Art, ein Schlagzeug einzusetzen, die – da bin ich mir fast sicher – in ihrer perfekten Ausformulierung eine Erfindung entweder von Jimmy Miller oder von Glyn Johns ist. Ich traf dieses besondere Break nämlich bisher nur auf einigen Platten der Rolling Stones an – auf den von Jimmy Miller produzierten Alben (und von Glyn Johns tontechnisch betreuten) „Beggars Banquet“ bis „Exile On Main Street“, und eben auf dem immer wieder von mir gelobten (und von Glyn Johns produzierten) Song der Steve Miller Band: „Dear Mary“.Dieses Break (im Folgenden DAs BReak genannt) setzt in Form einer Sequenz tiefer, kräftiger Schläge auf hart bespannten Trommeln ein, von wo aus der Song dann wahlweise weitergeht wie vorher oder aber schneller und anfeuernder wird. Wie es weitergeht spielt jedoch fast keine Rolle, denn dieses BReak schafft es, einen dramatischen Spin in Gang zu setzen, aus dem sich der Song nicht mehr erholen wird. Er gibt die so aufgenommene Energie nicht mehr ab, er hält sich in dauernder Spannung. Songbeispiele für DAs BReak: “Stray Cat Blues”, “Salt Of The Earth”, “You Can’t Always Get What You Want “, “Moonlight Mile”, “Loving Cup”, oder eben besagtes “Dear Mary” der Steve Miller Band. Die Stones können dieses BReak nicht erfunden haben, denn so gut wie alles, was Drummer Charlie Watts über das besondere Drumming im Studio lernte, hat er nach eigener Aussage von Jimmy Miller gelernt (der im Übrigen selbst ein exzellenter Drummer war. Er spielte auch das überragende Schlagzeug auf “You Can’t Always Get What You Want “; ebenfalls auch auf „Happy“, und sowieso auf zahlreichen Stones-Songs dieser Phase Percussion). Nun könnte man gegen Jimmy Miller als Urheber einwenden, dass dieses BReak auf der letzten von ihm produzierten Stones-Platte, „Goats Head Soup“, nicht mehr vorkommt. Dies spräche gegen ihn und für Glyn Johns als Erfinder, denn mit Glyn Johns Wegfall als Tontechniker ab „Goats Head Soup“ verschwand auch DAs BReak von den Stones-Platten. Nun muss man aber wohl vermuten, dass sich Jimmy Miller in den Jahren 1973-74, in denen zum einen „Goats Head Soup“ entstand und zum anderen die Vorbereitungen zu „It’s Only Rock’n’Roll“ liefen (an dem Miller letztendlich nicht mehr Teil hatte), langsam aus seinem Bewusstsein verabschiedete, was zum Beispiel dadurch zum Vorschein kam, dass er während der letzten Aufnahmen so fertig war, dass er begann, „Hakenkreuze in Holztische zu ritzen“ (Keith Richards). Die letzten Arbeiten Millers für die Stones dürfen also aufgrund schleichender Unzurechnungsfähigkeit nicht gegen ihn verwendet werden, selbst wenn dort DAs BReak nicht zu finden ist. Ausserdem hat Glyn Johns noch einmal 1974 einen Song der Stones gemixt („Fingerprint File“), der ebenfalls nicht mehr DAs BReak enthält.
Hier verliert sich nun die Spur. War Jimmy Miller nach seinem Ende als Stones-Produzent 1973/1974 überhaupt noch für irgendeine Studioproduktion verantwortlich? Haben er oder Glyn Johns danach noch auf DAs BReak zurückgegriffen? Hat Punk als gefühlte Umkehrung aller Werte in der Rockmusik diesem BReak den Garaus gemacht? Wurde er irgendwann und irgendwo in miefigen Studios auf festgenagelten Schlagzeugsets wieder zum Leben erweckt – erfolglos, von erbärmlich untalentierten Bands am Zeitgeschmack vorbei produziert? Wer kann sachdienliche Hinweise geben, die Licht in diese womöglich im Dunkeln schlummernden Geheimnisse bringen können?Ich möchte meine Beweisführung, die sich aus dem Anfang dieses Textes noch nicht einmal erahnen lässt, damit nun abschließen. Nach Aktenlage war Jimmy Miller weder der siebte Stone (der sechste war zum damaligen Zeitpunkt schon vergeben) noch der erste Beatle der Stones (das war Billy Preston), oder gar der George Martin der Stones (den gab es nie). Er war auch nicht der Maceo Parker der Stones (Bobby Keys) oder der Luxus-Cowboy der Stones (Gram Parsons). Jimmy Miller war nichts weniger als der beste Charlie Watts der Stones, der Ringo Starr ihrer schwierigeren Texturen – und höchstwahrscheinlich der Obermegasuperlehrer dieses einen innovativen BReaks. Bedenkt das bitte, wenn ihr auf die Gräber verblichener Drummer und Produzenten spuckt. Pflanzt stattdessen ein paar Blumen vor Jimmy Millers Urne, zupft das Unkraut heraus und hakt den Weg. Sucht zwei dünne Äste aus dem Untergrund des kleinen Fichtenhains zur linken. Kommt damit nochmal zurück zum Grab und trommelt kurz und kraftvoll DAs BReak auf die kleine eingesenkte Granitplatte. Lasst euch dabei aber nicht erwischen.