[Oar] 1969 |
Als Alexander ‚Skip’ Spence im Dezember 1968 nach sechsmonatigem Aufenthalt aus der psychiatrischen Abteilung des Bellevue Hospitals, New York, entlassen wird (spätere Diagnose: Paranoide Schizophrenie), überlässt er sein Hab und Gut den Mitinsassen. Was er jetzt machen wolle? Zurück nach San Francisco, zurück zu den Kumpels von Jefferson Airplane oder Moby Grape, bei denen er Schlagzeug und Gitarre gespielt hat? Alexander ‚Skip’ Spence entscheidet sich dagegen.
Er investiert stattdessen sein letztes Geld in ein gebrauchtes Motorrad und fährt nach Nashville. Es muss für den ein oder anderen Farmer auf der rund 400 Meilen langen Strecke eine seltsame Begegnung gewesen sein, einen langhaarigen Bartträger womöglich im Patienten-Outfit an ihm vorbeirauschen zu sehen. Ob Spence seine während der Monate in der Psychiatrie geschriebenen Songs im Benzintank versteckt, ist nicht überliefert. Er überlebt die Reise jedenfalls – anders als die zeitgleich und fiktiv im Film „Easy Rider“ durch das weiße Amerika fahrenden Dennis Hopper und Peter Fonda – und checkt im Nashviller Columbia Studio ein.
In nur vier Tagen entsteht „Oar“ – die Bestandsaufnahme einer vormals lokalen Berühmtheit der San Franciscoer Acid-Rockszene, der durch die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie plötzlich der existentielle Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Als befürchte er, seine Erfahrungen anderen Musikern nicht vermitteln zu können, spielt Spence das Album komplett alleine ein. Mit Bass, Gitarren und Schlagzeug schart er die Spuren seiner Musik und seines Zusammenbruchs um seine Stimme, formiert sie zu einer speziellen, buchstäblich in der Zelle entstandenen psychedelischen Kammermusik.
Im majestätischen „All Come To Meet Her“ holt Spence noch einmal den Summer of Love 1967 zurück. In der slow-mo Country-Folk-Verdunkelung „Weighted Down (The Prison Song)“ präsentiert er sich als einen um Jahrzehnte gealterten lebenszerrütteten Loner – kaum zu glauben für einen gerade mal 22jährigen. Im Hintergrund des mächtigen „Books Of Moses“ scheint jener höchstselbst seine Bücher noch einmal in Stein zu meißeln. Schließlich der Höhepunkt: Das 14minütige erschütternde Medley „Grey/Afro/This Time He Has Come“. Zu phrasierter Drum’n’Bass-Begleitung zerflüstert und vernuschelt Spence die Verse zu einem fast unidentifizierbaren Wortstrom. Zum Ende windet er ‘es’ heraus: „I can’t live about it, I can’t talk about it, I can’t sing about it …without you!“. Die Liebe als unbedingte Notwendigkeit, der schöne Schein psychedelischer Erfahrungen und die Auswirkungen der Konfrontation mit der eigenen psychischen Erkrankung – all das fließt in „Oar“ ein. Spences große Leistung ist es, die Kraft aufgebracht zu haben, sein zerrissenes Leben in diesen rauen Schönheiten und zärtlichen Erschütterungen fassbarer gemacht zu haben. Kein Zeugnis eines gebrochenen Mannes. Ein Triumph.